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Leben in Luxor Autorenforum: Muhammad Mustagab – der böse Spötter aus Oberägypten

von Hans Mauritz (2009)

 

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Muhammad Mustagab: Tales from DayrutSeit kurzem erst hat der westliche Leser Gelegenheit, einen der eigenwilligsten Schriftsteller Ägyptens kennen zu lernen - Muhammad Mustagab. 2008 brachte die "American University in Cairo Press" den Band [Anzeige] "Tales from Dayrut" heraus (1), und erst vor wenigen Wochen erschienen auf Deutsch die [Anzeige] "Irrnisse und Wirrnisse des Knaben Numan" (2).

Mustagab wurde 1938 in Dairut al-Scharif geboren, einem Marktflecken in der Provinz Assiut. Er war Sohn eines einfachen Bauern, der mit seiner schönen Stimme das Volksepos von Abu Zeid al-Hilali rezitieren konnte (3). Die Stellung der Mutter war prekär, denn sie hatte vor dem kleinen Muhammad vier Mädchen zur Welt gebracht. Im Unterschied zu seinen Schwestern durfte der Liebling des Vaters die Dorfschule besuchen, wo er als brillanter Schüler auffiel, musste sie aber schon in der 3. Klasse abbrechen, um dem Vater auf dem Feld zu helfen. Die Familie lebte zeitweise in bitterer Armut: "Meine Mutter stellte dann einen Topf mit Wasser aufs Feuer, um uns abzulenken und glauben zu machen, da koche das Essen, bis wir einschliefen." (4) Von einer Karriere als Literat war der junge Mann also denkbar weit entfernt. "Eigentlich hätte ich ein Strauchdieb werden sollen, doch die Verhältnisse waren ungünstig, und so wurde ich Schriftsteller." (5)

Eine nicht gebilligte Liebesgeschichte zwingt ihn, das Dorf zu verlassen. Er kommt nach Kairo, wo er ein Vagabunden- und Bettlerleben führt, bei Freunden schläft oder auf einer Bank im Park. Er schlägt sich durch als Tagelöhner, Fabrikarbeiter, Gehilfe eines Schneiders und eines Kalligrafen, bevor er im Jahre 1964 eine Stelle als Handlanger beim Jahrhundertwerk des Hochdamms von Assuan erhält. Dieser Posten bedeutet in seinem Leben eine Wende. Das Geld, das er hier verdiente, erlaubte ihm den Zugang zu Büchern, so dass er sich als Autodidakt Bildung und Kultur aneignen konnte. "Muhammad Mustagab nannte sich selbst ein Geschöpf des Dammes, da ihm dieser erst ein geregeltes, will sagen menschliches Leben ermöglichte." (6)

Später arbeitet er im Dienst einer grossen Baufirma in verschiedenen arabischen Ländern. Er unternimmt seine ersten Schreibversuche und veröffentlicht 1969 die Erzählung "Das 11. Testament". Weitere Geschichten in Zeitungen und Zeitschriften erregen so grosse Aufmerksamkeit, dass Mustagab im Jahre 1970 ein Amt im Verwaltungsapparat der "Akademie für die arabische Sprache" erhält. Die "Irrnisse und Wirrnisse des Knaben Numan" erscheinen 1977 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift "Al-Kateb". Da Mustagab zunächst keinen Herausgeber findet, lässt er sein Werk auf eigene Kosten drucken ... und verkauft davon ganze 76 Exemplare. Zum Glück nimmt sich der berühmte Buchhändler und Verleger Madbouli dieser Erzählung an und bringt sie ab 1984 in mehreren Auflagen heraus. Mustagab hat damit den Durchbruch und gleichzeitig den Höhepunkt seiner literarischen Karriere erreicht: 1984 wird ihm der "Staatspreis für den Roman" zuerkannt. Sein Werk besteht freilich aus wenigen schmalen Bändchen. Ausser dem "Numan" hat er vor allem zwei Sammlungen von Erzählungen veröffentlicht, "Dairut al-Scherif" und "Aufstieg und Niedergang derer von Mustagab". Es sieht ganz so aus, als habe er sich vom Brotberuf des Journalisten und politischen Kommentators allzusehr absorbieren lassen, denn seine Zeit hat kaum für fünf, sechs Geschichten im Jahr gereicht. Aber wie er selbst sagt, hat es ihm genügt, auf den Literaturseiten der Tageszeitungen veröffentlicht und gelesen zu werden. Muhammad Mustagab ist 2005 an einer Lungenentzündung gestorben.

Muhammad Mustagab, © AUCObwohl er den grössten Teil seines Lebens in Kairo verbracht hat, bleibt er der Erzähler vom Land. Das Dorf Dairut al-Scherif ist der fast ausschliessliche Schauplatz seiner Geschichten. "Wohin er auch kommt, trägt er Dairut al-Scherif mit sich herum, mit seinen Leuten, seinen Feldern, seinen Katzen und Hunden, seinen Büffelkühen und seinem Mist... Er sass zusammen mit Ministern und Wachmännern, mit Betrunkenen und Künstlern, aber nie hat er seine weite oberägyptische Galabiyya abgelegt."(7) Nicht die Figuren sind Hauptpersonen seiner Geschichten, sondern das Dorf und seine Familienclans. Mustagab schreibt dabei ganz bewusst gegen die gängigen Clichés an, welche die Literatur über den Sa'id, seine Dörfer und Menschen kennzeichnen. Die meisten Schriftsteller, sagt er, die über den gutmütigen und grosszügigen Sa'idi schreiben, tragen Anzüge und sitzen in Büros. Sie schöpfen aus ihrer Fantasie und schreiben, was von der Leserschaft erwartet wird, nicht das, was wahr ist. Er dagegen bleibt dem Erdboden verhaftet. Er will eine literarische Gattung erschaffen, die es offiziell noch gar nicht gibt, weil die Schriftsteller Angst haben davor: bitterböse, sarkastische Geschichten, die mit zerstörerischem Humor die Grausamkeit der Menschen und Absurdität ihres Lebens und Treibens aufzeigen. Geschichten zudem, die nicht den klaren logischen Aufbau haben, welchen der Leser erwartet: "Ich möchte behaupten, dass der wohlgeordnete, kontinuierliche Ablauf von Ereignissen nicht unserem Leben entspricht. Dieses ist nämlich nicht durch Wohlordentlichkeit, ist weder durch glatte oder unglatte noch durch logische Abfolge gekennzeichnet. Wirklich, das Zeitalter sauber geregelter Geschichte ist passé." (8)

Mustagab wehrt sich auch dagegen, als Spassmacher zu gelten, der die Leute zum Lachen bringt. "Ich bin tiefbesorgt, traurig und unglücklich und nicht satirisch." Mehrmals betont er seine persönliche Zerrissenheit. Seinen Gesprächspartnern fällt sein lautes ironisches Lachen auf, das so klingt, als wolle es die Traurigkeit verbergen, die man in seinem Blick errät. Muhammad Mustagab: Irrnisse und Wirrnisse des Knaben NumanDie [Anzeige] "Irrnisse und Wirrnisse des Knaben Numan" kommen daher als eine wissenschaftliche oder vielmehr pseudo-wissenschaftliche Recherche über das Leben eines bedeutenden Mannes. Der arabische Titel "Aus der geheimen Geschichte des Numan Abdelhafis", der Apparat von mehr oder weniger skurrilen Fussnoten und die ständige Berufung auf glaubhafte und weniger glaubhafte Überlieferungen vermitteln den Eindruck, es handle sich um eine Art Heiligenvita, vielmehr um die Parodie einer solchen. Wenn man von der grotesken Verzerrung, von den skurrilen Details und vom bitterbösen Humor absieht, bleibt eine einfache, wenn auch ungewöhnliche Geschichte: Der Sohn einer Pökelfischverkäuferin und eines Feld- und Hühnerdiebs kommt im Schilfrohr zur Welt, wächst in einer armseligen Hütte auf und wird ein Meister in dummen Streichen, die rasch eine kriminelle Dimension annehmen. Die Mutter überlässt den Knaben einer vornehmen und gutbetuchten Dame, deren pädophile Gelüste ihm aber eine solche Panik einjagen, dass er davonrennt, um eine Zeitlang als Gehilfe eines Totengräbers zu arbeiten, dem er beim Ausheben der Gräber, beim Diebstahl von Leichentüchern und bei der Durchführung von Wunderheilzeremonien zur Seite steht. Numans Beschneidung artet in einen regelrechten Krieg zwischen zwei Nachbardörfern aus, bevor dann seine mit allem dörflichen Pomp gefeierte Vermählung die Geschichte an ihr Happy End kommen lässt. Der Knabe Numan wird dabei nicht zu einer autonomen literarischen Figur. Er bleibt eine Art Marionette, mit deren Hilfe der Erzähler das groteske Leben und Treiben im oberägyptischen Dorf illustrieren kann.

Der bitterböse Spass und die sarkastische Verzerrung dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mustagab ernsthaft Kritik übt an sozialen Missständen und an der Rückständigkeit, dem Aberglauben und Fanatismus der Dorfbevölkerung. Das Dorf Dairut macht seinem Beinamen "al-Scherif" (vornehm, edel, ehrenhaft) bei Gott keine Ehre. Weil Numans Vater am letzten Freitag im Ramadan stirbt, machen ihn die Dorfbewohner zu einem Gesegneten, dem ein prächtiger Schrein gebührt. Tatsächlich bleiben die Wundertaten des neuen Heiligen nicht aus: Die Bahre weigert sich, den Weg zum Friedhof einzuschlagen, was die Trauernden zwingt, ihr keuchend hinterherzurennen. Aber weil ein wildes Tier (oder war es ein Wüstendämon?) die Leiche fleddert, bleibt der Schrein leer, und der kleine Numan kann nicht als Sohn eines Heiligen ins Leben starten. Das Kapitel "Von der leeren Grabstätte" lässt den verblüfften Leser an einem Wunderheilungszeremoniell teilnehmen. Eine an geschwollenen Hinterbacken und Hämorrhoiden erkrankte Frau wird in einem Grab eingebuddelt, wobei es gilt, hahnebüchene Vorschriften haargenau einzuhalten. Numan, der nach seiner unglücklich verlaufenen Beschneidung an Schwellungen im Lendenbereich leidet, muss schnellstens verehelicht werden, weil ein Djinn durch den Mund einer Besessenen verkündet hat, "dass die Behandlung des numanschen Zwischenlendenbereichs nur dann erfolgreich sein werde, wenn Numans Blut sich religionswohlgefällig mit dem eines Weibes verband, dem sich noch nie ein Mann genähert hat." Der muslimische Glaube dieser Dorfgemeinschaft ist überwuchert von Vorstellungen und Praktiken aus heidnisch-magischer Zeit.

Oberägyptische Dorfstraße, © Hans Mauritz

Wenn Mustagab die Details von Numans Vita immer wieder in Beziehung setzt zu weltpolitischen Ereignissen, weitet er den Raum des Grotesken auf Politik und Weltgeschichte aus und beraubt diese ihrer Grossartigkeit und Würde. Numan kommt auf die Welt, just als Mussolini mit seinem Angriff auf die Küsten Abessiniens begonnen hat. Exakt im Augenblick, da in Kairo der Premierminister ermordet wird, lässt die lüsterne Dame den Knaben in ihre Suite hinauftragen. Er leidet an den Folgen seiner verpfuschten Beschneidung, während die "Freien Offiziere" in Kairo die Macht übernehmen. Und während er auf abstrus-bestialische Weise die Entjungferung vollzieht, überreicht ein Botschafter dem Präsidenten Abdel Nasser das Ultimatum, seine Truppen aus der Suezkanalzone abzuziehen. Dieses Nebeneinander des total Verschiedenen, diese Diskrepanz, die uns Leser zum Lachen bringt, ist eines der auffälligsten Stilmittel Mustagabs. Als Umm Numan ihren missratenen Sohn schlägt, merkt der Erzähler an, dass sie damit leider gegen moderne pädagogische Prinzipien verstösst. Als sie ihm später eine Ladung Dreck ins Gesicht klatscht, verkennt sie, dass Numan an der Schwelle der Pubertät steht, "jenes Lebensabschnitts, dem Sigmund Freud eine unermessliche Bedeutung zuschreibt". Als die Dorfbewohner zur Beschneidung des Knaben ins Nachbardorf ziehen und von dort vertrieben werden, wird dies in grandiosem epischen Tonfall geschildert, als handle es sich um die Heldentaten des grossen Abu Zeid al-Hilali. Bei seiner Hochzeit stimmt das Dorf ein Loblied an, das den schäbigen Bräutigam in ein Muster an Heldentum, Güte und Grosszügigkeit verwandelt. Und als er die Entjungferung vollzieht, "überflutete Glückseligkeit die Gestade des Kanals". Solche Stilmittel haben die Funktion, die Illusion einer "realistischen" Erzählung radikal zu zerstören. Dasselbe geschieht, indem Mustagab sich und seine Sippe in einer Art Metafiktion in den Text hineinholt, wenn er sich z. B. gegen die Anschuldigung wehrt, Numans Vater bewusst beseitigt zu haben, um seinem Helden als Waisenkind den Nimbus des Aussergewöhnlichen und Wundertätigen zuteil werden zu lassen, oder wenn er seinem literarischen Geschöpf vorwirft, ihm, dem Autor, seine noch nicht vollzogene Beschneidung verheimlicht zu haben.

Mehr als die Irrnisse und Wirrnisse der Geschichte, mehr auch als der Angriff auf soziale Missstände und abwegige Religionspraktiken sind die Sprache selbst und das funkelnde Spiel mit ihr Thema dieser Erzählung. Die knorrige, unnachahmbare und schwer zu übersetzende Sprache Mustagabs, sein Spiel mit Wörtern und ihren Bedeutungen, sein Verknüpfen des total Unvereinbaren machen den eigentlichen Reiz dieser Erzählung aus. Der Autor brilliert vor allem auch mit seinen Aufzählungen, die Weithergeholtes und Unvereinbares nebeneinanderstellen. So fabriziert Pater Abdel Qudus in der Geschichte "Sonnenblumen" Pillen, die Blutungen stillen, Neid und Eifersucht heilen, den Tod der Neugeborenen verhindern, gegen Zahnausfall und Einsamkeitsgefühle, gegen Bettnässen und Leistenbruch hilfreich sind, Ränke von Feinden vereiteln, Sodomie, das Abfallen von Gliedern und Auszehrung bekämpfen sowie den Geschlechtsverkehr verlängern und Glatzenbildung vereiteln können...

Vor allem hier zeigt sich die grossartige Leistung der beiden Übersetzer, Hartmut Fähndrich und Edward Badeen, denen man die Freude an ihren Worttrouvaillen anmerkt, wenn sie den deutschen Text zu einem Feuerwerk der Sprache werden lassen. Sie wetteifern mit Mustagabs Wortspielkunst, wenn "die gleissende Lampe Fremdheit, Befremdung und Fremdhaftigkeit" ausdrückt oder wenn Abu Numan "ohne seine Einsicht, Vorsicht und Umsicht" einem Anschlag zum Opfer gefallen wäre. Fähndrich und Badeen sind Meister in der Wortschöpfung und im Gebrauch skurriler Wendungen. Bei ihnen werden Numans Schamteile als "Gemächt", "Gehänge" und "Gerätschaften" apostrophiert, stossen die Menschen in ihrer Angst "Gottseibeiunse" aus, wird Abu Numan "körpergemein" mit einem Hund und verbreiten seine Dorfgenossen das Gerücht, "sein Männlichkeitsguthaben sei verschwindend". Wer dies nachprüft, wird sehen, dass die englischen und französischen Übersetzer sich in denselben Passagen mit weit geringerer Kreativität begnügen.

Hartmut Fähndrich (li. außen) und Edward Badeen (re. außen) bei den Solothurner Literatutagen 2007, © Solothurner Literaturtage
Hartmut Fähndrich (li. außen) und Edward Badeen (re. außen) bei den Solothurner Literatutagen 2007

Werden die "Irrnisse und Wirrnisse des Knaben Numan" vom Feuerwerk der Sprache und Phantasie bestimmt, so haben andere Erzählungen Mustagabs bei aller satirischen Verzerrung einen realistischeren Duktus. Was immer wieder thematisiert wird, ist die Gewalt und Grausamkeit, die Leben und Treiben des Dorfes beherrschen. Mustagab selbst schätzt, dass 5 bis 10% der "Fakten" in seinen Geschichten der Wahrheit entsprechen. Wer in Oberägypten lebt und Augen und Ohren öffnet, weiss, dass nicht alles, was Mustagab erzählt, total erfunden ist. Man spürt auch die tiefe persönliche Betroffenheit des Autors: "Die Menschen sind imstande, Monstren zu erzeugen... Ich habe meine Kindheit inmitten der Gewalt verbracht. Im Namen der Blutrache hat man Kinder gekidnappt und ermordet... nichts kann den Mord an Kindern rechtfertigen, auch nicht die Blutrache."

Die kleine Geschichte "Der Rand des Tages" malt uns ein stimmungsvolles Bild des Dorflebens, bevor die Nacht hereinbricht. Während die Dörfler ihren alltäglichen Verrichtungen nachgehen, unschuldigen und weniger unschuldigen, während ein Hagg mit seinem kleinen Sohn heimreitet, ihn liebevoll neckt und kost, ertönt ein Schuss, und das Dorf schreit auf: "Der Hagg und sein Sohn sind erschossen worden."

In der Erzählung "Mord" werden drei Männer von der Dorfversammlung beauftragt, eine Frau zu töten. In Erwartung ihrer Tat sitzen sie seelenruhig im Dorfcafé und lauschen lüstern einem Gast, der vom erotischen Abenteuer erzählt, das ihm in Kairo widerfahren ist: Opfer solcher Auftragsmorde sind Kinder oder Frauen, die sich nicht an die Gebote der Konvention halten. Der schönen, kokett gekleideten Madame N., die an allen möglichen Orten gesehen wird (Gott allein weiss warum), muss das Handwerk gelegt werden, denn sonst würde es heissen, es gäbe im Dorf keine wahren Männer mehr! Doch wie jedes Dorf seinen Iman, seinen Priester, sein Bordell und seine Hebamme hat, verfügt es auch über seinen Killer, der dafür sorgt, dass die Mannesehre unangetastet bleibt. Ein fürchterlicher Schrei ertönt, aber aus dem Fenster stürzt dann nicht die ermordete Frau, sondern der Killer selbst, während Frau N. auf dem Dach ihres Hauses erscheint, "unerschütterlich, stolz und vollständig nackt, mit einem verächtlichen Lächeln auf ihren Lippen." ("Eine Frau")

Haus eines Mörders in Oberägypten

Ins fast Unerträgliche, Sadistische gesteigert sind Mord, Gewalt und Blutrausch in der Geschichte "Die Bughaili-Brücke". Wieder einmal ist ein Mord passiert, aber diesmal hat man es mit einem ehrgeizigen Polizeioffizier zu tun, der den Dingen im wahrsten Sinn des Wortes auf den Grund geht. Er lässt einen Taucher kommen, der im Dorfkanal unter der Brücke nach der Tatwaffe suchen lässt. Diese Tauchaktion wird zum Spektakel, das niemand sich entgehen lässt. Was der Taucher nach und nach zutage fördert, ist die blutige Vergangenheit des Dorfes: ein Kleidersack mit Stofffetzen und Haarlocken, ein Schädel, Skelette und Leichenteile, die noch Reste von Kleidung tragen. Die Zuschauer geraten in aufgeregte Diskussionen und Vermutungen, während sie die Opfer identifizieren. Chaos herrscht, das Brückengeländer stürzt ein, Leute fallen in den Kanal, Gischt spritzt auf und das Wasser färbt sich blutig rot. Zwar ertönen Klagen aus dem Mund von Frauen und Alten, die ihre Angehörigen erkennen. Das Dorf als ganzes aber reagiert nicht etwa mit Reue und Mitleid, sondern mit einem bestialischen Blutrausch, einer Massenpsychose... Phänomenen, die auch uns nur allzusehr vertraut sind.

Mehrere von Mustagabs Geschichten lassen ein politisch-soziales Anliegen erkennen. In "Blutbrennen", der Geschichte, die Fähndrich und Badeen zusammen mit "Numan" herausgegeben haben, beschliessen Arbeiter eines Steinbruchs eine Kooperative zu bilden, um Tiere zu kaufen und sie selbst zu schlachten, statt vom minderwertigen Fleisch der Metzger abhängig zu sein. Die Sache scheint zu gelingen, aber die Herren aus der Chefetage sowie Richter, Staatsanwalt und Geistlichkeit verlangen ihren Tribut, Bürokraten wollen bestochen sein, und schliesslich geht alles in einem von den Metzgern der Stadt organisierten Sabotageakt zugrunde.

Wenn Mustagab hier zeigt, wie ein ursozialistisches Modell zum Scheitern gebracht wird, führt er uns in anderen Geschichten Aufstieg und Niedergang eines ruralen Kapitalismus vor Augen. In "Sonnenblumen" beginnt der Aufstieg damit, dass ein kluger Mann eine Marktlücke entdeckt: Da in den Derwisch-Bruderschaften Alkohol und Tabak verboten sind, bieten sich die Sonnenblumenkerne geradezu an, die müssigen Kinnläden zu beschäftigen. Der Absatz ist so gross, dass die Sonnenblumen schnell die Felder überfluten, das Getreide verdrängen und die Tierhaltung verkümmern lassen. Mit dem Reichtum, dem Luxus und der Lebensfreude, mit dem Müssiggang (Sonnenblumen verlangen keinerlei Pflege) kehrt moralischer Fortschritt ins Dorf ein: Liebe, Verständnis, Grosszügigkeit und Brüderlichkeit breiten sich aus. Was die Dorfbewohner aber nicht bedenken, ist ihre neue Abhängigkeit: Leute aus den Nachbardörfern strömen herbei, verkaufen Milch, Brot, Fleisch und Butter. Der Reichtum lockt Kriminelle an, gegen die man sich mit fremden Wächtern schützen muss. Da die reichen Dörfler immer bequemer werden, übernehmen Beduinen die Hausarbeit, kümmern sich um die Abfallbeseitigung und übernehmen "selbst sensible Aufgaben, die mit den Frauen zu tun haben". Die Frauen sind es auch, die sich erfolgreich wehren gegen den Versuch, den Backofen wieder anzuzünden und die Fremden auszuweisen, weil sie die Errungenschaften schätzen, die ihnen der Fortschritt gebracht hat. So liest sich die Erzählung als Persiflage auf die Entwicklung so manchen Landes, dem der Kapitalismus Wohlstand, Müssiggang, "Überfremdung" und Kriminalität gebracht hat.

Flötenspieler in Oberägypten

Die Geschichte "Die Opfergabe" berichtet, was einem Dorf widerfährt, wenn ein geheimnisvoller Fluch seine Bewohner mit Taubheit schlägt. Als alles nichts fruchtet, was der Aberglaube an Wundermitteln bereit hält, als auch ein Ritualmord keine Lösung bringt, versiegt der blühende Handel, und das Dorf verfällt. Rettung kommt, als die stumm gewordenen Dörfler es zu wahrer Meisterschaft in rhythmischem Klatschen und Trommeln bringen. Ihre Bands werden weitherum so begehrt, dass die Dörfler den Spiess umdrehen: statt auswärts an Hochzeiten und Festen aufzuspielen, wird aus dem Dorf ein Vergnügungs- und Ferienparadies, wo man dem reichen Fremden jeden, auch noch so ausgefallenen erotischen Wunsch erfüllt. Für das, was hier im Dorf passiert, kennt jeder Leser Beispiele en masse.

Bei Mustagab, der sich selbst als Anarchisten bezeichnet, werden die Macht und die Mächtigen, die sie falsch nutzen, immer wieder Zielscheibe von Kritik und Spott. "Im Parlament wie auf der Strasse verehren und glorifizieren die Ägypter die Macht, als sei sie Gott, und das widert mich an." Das Projekt einer Dorfschule, mit welcher ein frommer Mann Gott für seine wundersame Errettung danken will, wird von den Mächtigen hintertrieben und an ihrer Stelle ein Vergnügungslokal gebaut ("Hulagu"). Als ein mit genialem Spürsinn ausgestatteter Dörfler das Versteck einer Rauschgiftmaffia ausfindig macht, umlagern Fotografen und Reporter den Truppführer, während man den "Bergzahn" im Herzen der Wüste einfach vergessen hat. (9) In einer anderen Geschichte werden Tyrannei und Unterdrückung in einer bösen Zauberin verkörpert. Ihr gelingt es regelmässig, die Freiheitskämpfer zu verführen und dann abzuschlachten ("Reiter schwärmen für Parfums").

Dass Mustagab allen Ideologien misstraut, zeigt die Geschichte vom Clan der Gaber. Während ihre Kultur traditionsgemäss auf der Zucht von Eseln beruhte, kommt es ihrem sterbenden Clanführer in den Sinn, von ihnen den Wechsel zu den Kamelen zu verlangen. Spätere Führer werden dann als letzten Willen den Wechsel zum Maultier und schliesslich zum Schwein kundtun. Jedesmal beeilt sich der ganze Clan, die neue "Ideologie" zu akzeptieren, denn man will mit der Zeit gehen und sich durch Abgrenzung gegenüber Anderen Identität verschaffen. Jede Art der Viehzucht bringt materiellen Gewinn, Luxus, Stolz und moralischen Fortschritt. Freilich leben die Gaber in solcher Osmose mit den Tieren, dass sie nach und nach nicht nur deren Charaktereigenschaften, sondern auch deren Aussehen annehmen ("Die J-B-Rs").

Der boshafte Spötter Mustagab beteuert, selbst nicht boshaft, zur Bosheit nicht einmal fähig zu sein. Seine Tochter erinnert sich an seine Fröhlichkeit und Herzensgüte, seine Fürsorge und sein Mitgefühl. Wenn man jedoch weiss, wie Mustagab als Journalist auf die Ereignisse vom 11. September 2001 reagiert hat, muss man sich fragen, ob ihn nicht das Milieu, in dem er aufgewachsen ist und die makaberen Geschichten, die es inspiriert hat, stärker geprägt haben als er zugibt ...



Anmerkungen:

(1) "Tales from Dayrut", translated by Humphrey Davies
(2) "Irrnisse und Wirrnisse des Knaben Numan" und "Blutbrennen", übersetzt
      von Hartmut Fähndrich und Edward Badeen, Lenos Pocket). Eine
      französische Übersetzung des "Numan" liegt seit 1997 vor: "Les tribulations
      d'un Egyptien en Egypte
", Actes Sud
(3) Heute gibt es in ganz Ägypten nur noch einen einzigen Volkssänger, der
      dieses Werk auswendig rezitieren kann.
(4) Sami Kemal, "alazina adhaku thub al-ardh", Dar al-Kitab al-arabi, 2008,
      pp.243-251
(5) und (6) H. Fähndrich, Nachwort zu "Irrnisse und Wirrnisse".
(7) Sami Kemal, s.o. Andere Gespräche mit Mustagab, denen wir unsere
      Informationen verdanken: Samar al-Gamal, in "Le progrès égyptien",
      Literaturbeilage zur 31. Buchmesse in Kairo, und Dina Qabil in "Al-Ahram
      Hebdo", 12. bis 18.10.1994
(8) H. Fähndrich, Nachwort s.o.
(9) "Der Bergzahn", übersetzt von H. Fähndrich und E. Badeen, in "Arabische
      Erzählungen
", dtv 2004

 

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