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Leben in Luxor Autorenforum: Trauerrituale in Oberägypten

von Elisabeth Hartung † (Fassung von 2009 überarbeitet 2014)

Klagefrauen aus dem Buch von Erich Lessing: Geheimnisvolles Ägypten, 1991
Klagefrauen aus dem Buch von Erich Lessing: Geheimnisvolles Ägypten, 1991

In den Dörfern Oberägyptens gelten trotz der zahlreichen Kontakte mit Touristen noch immer die alten Bräuche und Regeln - und es herrscht die entsprechende soziale Kontrolle.

Wenn ein Dorfbewohner gestorben ist, wird man oft zuerst durch das Wehgeschrei der Frauen aufmerksam gemacht. Es sind laute, an- und abschwellende, heulende Klagelaute, die durch Mark und Bein gehen. Wie aus dem Nichts tauchen viele schwarze Gestalten auf und streben einem bestimmten Haus zu. Bald fährt auch ein Lautsprecherwagen durch die Straßen des Dorfes und der angrenzenden Quartiere und verkündet den Namen des gerade Verstorbenen. Freunde und Nachbarn strömen zu dessen Haus, der Todesfall hat absoluten Vorrang vor allen anderen möglichen Verpflichtungen, und das Alltagsleben mit seinen üblichen Verrichtungen kommt für einige Zeit fast zum Erliegen. Männer und Frauen haben jetzt fest umschriebene Aufgaben, und auch bezüglich ihres Verhaltens gibt es klare Erwartungen.

Die Angehörigen beginnen sofort mit den Vorbereitungen für die Beerdigung.

Der Tote wird zwei Mal gewaschen. Man überlässt dies nicht professionellen Leichenwäschern, sondern ein Mann wird von seinen nächsten männlichen und die Frau von ihren weiblichen Angehörigen gewaschen. Die erste Waschung dient der körperlichen Reinigung und geschieht möglichst auf einer Unterlage aus den weichen Nadeln des Athel-Baumes. Der Respekt gebietet es, dass der Körper dabei nach Möglichkeit nicht den Augen der anderen ausgesetzt und deshalb unter einem Leintuch gewaschen wird. Dabei wird gerne Wasser benutzt, dem Blätter des Jojoba-Baumes beigefügt wurden. Dieser Baum gilt als geheiligt und sollte deshalb auch nicht abgehackt werden. Einen kleinen Vorrat seiner Blätter findet sich in der Regel in jedem Haushalt. Die zweite Waschung hat eine spirituelle Bedeutung, sie entspricht der rituellen Waschung vor jedem der fünf täglichen Gebete und bereitet den Verstorbenen auf seinen neuen Seinszustand vor. Kopf und Unterleib und bei Frauen Kopf, Brust und Unterleib werden zunächst mit Tüchern bedeckt. Dann wird der Körper in ein nahtloses weißes Tuch gehüllt, und auch hier werden Jojoba- und Hennablätter dazwischengestreut. Das Leichentuch entspricht genau der Bekleidung, die für die Pilgerfahrt nach Mekka vorgeschrieben ist. Die rituelle Reinheit des Körpers erleichtert es der Seele, sich dem Jenseits zuzuwenden.

Jojoba-Baum, © Claudia Ali
Jojoba-Baum, © Leben in Luxor

Möglichst bald nach diesen rituellen Handlungen wird der Tote unter lautem Wehklagen der Frauen aus dem Haus getragen, und die Männer begeben sich umgehend mit der Bahre auf den Weg zum Friedhof. Je vier Männer tragen die Bahre und wechseln sich dabei so ab, dass möglichst viele aus dem Trauerzug diesen Dienst vollziehen können. Gerade abwesende Angehörige oder Freunde haben keine Möglichkeit, sich vom Verstorbenen zu verabschieden, ihn oder sie noch einmal zu sehen. Es war für mich eine schwierige und sehr fremde Erfahrung, jemanden, mit dem ich am Morgen ein Treffen für den Abend abgemacht hatte, zur verabredeten Zeit nach einem tödlichen Unfall bereits beerdigt zu wissen. Bis vor kurzem fanden Beisetzungen bis zum Sonnenuntergang oder, wenn jemand nachts starb, kurz nach Sonnenaufgang statt. Jetzt, wo es elektrische Beleuchtung gibt, wird manchmal auch noch bei Dunkelheit beerdigt. Diese Schnelligkeit wird meist mit dem heißen Klima erklärt, aber es gibt bedeutsamere, in der geistigen Tradition verankerte Motive, die die erste Erklärung wie eine Verlegenheitsbegründung für den Fremden aus einem anderen Kulturkreis erscheinen lassen. Es geht um die tiefe Achtung vor der Würde des Verstorbenen, dessen Seele sich vom Körper getrennt hat. Dem rituell reinen Körper gebührt ohne Verzug der seinem neuen Zustand angemessene Ort, und so kann auch die Seele ihren neuen Raum einnehmen.

Bahren in der Hassan-Fathy-Moschee in Qurna
Bahren in der Hassan-Fathy-Moschee in Qurna, © Leben in Luxor

Es sind die Männer, die mit der Bahre den einstündigen, oft sehr heißen Weg zum Friedhof antreten. Immer wieder wird diskutiert, ob nicht wenigstens die Alten ein Auto benutzen sollten, aber Tradition und Respekt lassen dies eigentlich nicht zu. Es ist eine unumstößliche Pflicht, dass das Oberhaupt oder mindestens ein männliches Mitglied jeder dörflichen Familie teilnimmt - eine Selbstverständlichkeit auch in den Augen jedes Arbeitgebers, es sei denn es handelt sich um die Tourismusbranche! Da die Dörfer inzwischen viel größer geworden sind und es entsprechend mehr Todesfälle gibt, hat dies zur Folge, dass dauernd Termine platzen, Handwerker, Lehrer, Freunde, Ladenbesitzer absolut verhindert und entschuldigt sind. Die Frauen des Dorfes sind im Trauerzug nicht erwünscht, traditionell bleiben sie alle zusammen im Haus des Toten. Zur Begründung heißt es, die Religion verlange das so. Andere nennen ganz pragmatisch als Grund, dass der Klagelärm der Frauen einfach nicht zu kontrollieren sei.

Aus dem Buch von Erich Lessing: Geheimnisvolles Ägypten, 1991
Trauerzug aus dem Buch von Erich Lessing: Geheimnisvolles Ägypten, 1991

Da, wo die Straße aus dem Dorf hinausführt und der Weg Richtung Friedhof abzweigt, hält der Trauerzug an, die Fatiha (die Eröffnungssure des Koran) wird gebetet, die letzten Frauen werden zurückgeschickt und auch die Männer müssen ermahnt werden, ihre Klagen und Selbstanklagen, was sie dem oder der Verstorbenen schuldig geblieben seien, einzustellen. Manche jungen Frauen, die ihren Mann oder ein Kind verloren haben, lassen sich nicht wegschicken. Das wird geduldet und von den Männern respektvoll vermerkt, wenn sie nur leise geweint und so die Totenruhe nicht gestört haben. (Es heißt, der Prophet habe Klagegeschrei, Trauergesang, Zerkratzen des Gesichts und Zerreißen der Kleider verboten, nicht aber, dass das Herz traurig ist und das Auge Tränen vergießt.)

Wenn die Männer nach der Beisetzung den Friedhof verlassen haben, kehren sie nicht mehr dorthin zurück. Nach der Überlieferung verbot der Prophet Besuche an Gräbern, während eine andere Tradition sogar empfiehlt, die Gräber „heiliger“ Personen zu besuchen, wenn man Probleme hat, um deren Segenskraft - Baraka - zu erlangen. Dieser Tradition folgen die Frauen. Für sie wird der Friedhof zum Zufluchtsort und zu einem Ort der Zusammenkünfte besonders an den großen Fest- und Gedenktagen, während die Männer sich in der Moschee treffen. Die Totengräber und Wächter des Friedhofs ihrerseits sind nicht etwa Randfiguren, sondern sie haben eine sozial hochgeachtete Stellung. Sie müssen „gute Muslime“ sein, was im Kontext dieses Dorfes insbesondere heißt, dass sie keinen Alkohol trinken und keinerlei Drogen konsumieren. Ihr Beruf vererbt sich häufig vom Vater auf den Sohn, und sie werden vom Dorf bezahlt, früher mit Naturalien entlohnt. Der Totengräber ist der einzige, der ins Grab hinabsteigt und den Toten dort bettet, mit dem Gesicht nach Mekka und auf seine rechte, die „glückliche“ Seite. Er entfernt das Tuch vom Gesicht des Verstorbenen, damit dessen Seele Rechenschaft ablegen kann. Es heißt, dort unten im Grab könne der Totengräber etwas vom eigentlichen Wesen des Toten sehen, der ja jetzt vor Allah steht. Darüber zu schweigen ist seine absolute Pflicht. Nur wenn über dem Grab ein Licht erscheint, das Zeichen besonderer Segenskraft, wird er es mitteilen, denn dieses Licht könne ja jeder sehen und es gehe die ganze Gemeinschaft an. Über einem solchen Grab wird dann wahrscheinlich ein „maqam“, ein kleiner Kuppelbau errichtet.

Fatimidischer Friedhof in Assuan, © Elisabeth Hartung
Fatimidischer Friedhof in Assuan, © Elisabeth Hartung

Nach der Bestattung beginnen die eigentlichen Trauertage, „wagib“, Verpflichtung genannt. (Dieses Wort hat eine sehr starke Bedeutung und wird auch für religiöse Pflichten wie das Fasten und Almosengeben, für soziale Pflichten wie die Gastfreundschaft und schließlich auch für die Hausaufgaben der Schulkinder verwandt.) Die „wagib“-Tage haben Vorrang vor allen anderen Pflichten und Aktivitäten. Die älteren Dorfbewohner erinnern sich gut an die Zeit, als 7 Tage lang gemeinsam getrauert wurde. Bis vor wenigen Jahren waren es 5 Tage für verstorbene Männer und 3 Tage für verstorbene Frauen. Inzwischen hat man sich auf 3 Tage für alle geeinigt, außer beim Tod von ganz kleinen Kindern (d.h. solche, die das Haus noch nicht verlassen haben), um die 1 Tag lang offiziell getrauert wird. Kürzlich gab es eine Ausnahme beim Tod einer alten Frau, die ohne Familie war und um die sich infolgedessen das ganze Dorf kümmerte: Die Frauen beschlossen, dass um sie fünf Tage lang getrauert werden sollte, und es gab keinen Widerspruch. Da die Zahl der Dorfbewohner und damit auch der Todesfälle stark angewachsen ist und das ganze Dorf in die Trauertage-Pflicht involviert ist, gibt es manchmal fast kein normales Alltagsleben mehr. Für Verwandte, Freunde und Nachbarn dauert die erweiterte Trauerzeit ein ganzes Jahr, und das bedeutet z.B., dass kaum noch eine Hochzeit glanzvoll mit Musik und Tanz gefeiert werden kann. Es bleiben dann nur der religiöse Teil mit Koranrezitationen und vielleicht Sufitanz - und dem unverzichtbaren Friseurtermin für die Braut. Die Frage, ob die Trauerzeiten das persönliche und das soziale Leben des Dorfes weiterhin in diesem Ausmaß bestimmen sollen, wird immer wieder einmal gestellt - und immer wieder enden diese Diskussionen mit dem Argument: Wir sind hier doch nicht in Kairo.

Also sitzen während dieser Tage möglichst viele Dorfbewohner zwischen dem ersten Morgengebet und dem letzten Gebet nach Sonnenuntergang nach Geschlechtern getrennt mit den Männern und Frauen der Trauerfamilie zusammen. Wenn kein passender großer Raum zur Verfügung ist, wird mit Tüchern die Gasse vor dem Haus abgetrennt und mit Bänken versehen. Trauergäste reisen oft mit ihrer ganzen Familie von weit her an und müssen beherbergt und verköstigt werden. Dazu teilt sich die Nachbarschaft in Gruppen auf. Jede Gruppe übernimmt einen Tag, an dem für alle gekocht wird, so dass für die gemeinsamen Mahlzeiten der Trauernden gesorgt und die Trauerfamilie selbst von dieser Pflicht der Gastfreundschaft entlastet ist. Und falls man es als Außenstehende sonst nicht mitbekommen hat, so wird man doch spätestens, wenn man Frauen mit großen Platten und Schüsseln auf dem Kopf durch die Gassen zu einem bestimmten Haus hin eilen sieht, wissen, dass dort jemand gestorben ist. Mindestens ein Mann dieser Familien, die mit der Versorgung an der Reihe sind, muss (wagib!) diesen Tag mit den Männern der Trauerfamilie verbringen. Ständig kommen Besucher aus den Nachbarorten, um zu kondolieren - am dritten Tag ist die letzte Gelegenheit dazu, und mancher kommt unter Druck, weil er sich vielleicht an zwei verschiedenen Orten zeigen sollte. In diesen Stunden wird vor allem gebetet und aus dem Koran rezitiert. In den Pausen sorgt die jeweils betreuende Gruppe für Wasser oder Tee. Schweigend werden die Gläser von den jüngeren Söhnen auf großen Tabletts gereicht und wieder eingesammelt. Sie empfinden es als ehrenvoll, diese Aufgabe zu erfüllen und so zur Männergemeinschaft zu gehören. Während dieser drei Tage reißt der Strom der Besucher kaum ab - eine äußerst erschöpfende Angelegenheit für die Männer der Trauerfamilie, die die Beileidsbezeugungen stehend entgegennehmen. Dennoch wird genau registriert, wer kommt und welche Familie aus welchem Ort eventuell keinen Vertreter geschickt hat. Es ist eine Sache der Ehre und des Respekts, und wenn diese Pflicht versäumt wird, kann das Anlass für spätere Streitereien und sogar Feindschaften werden.

Unterdessen sitzen auch die Frauen zusammen, meist im Haus des Verstorbenen, und hier geht es nicht so strukturiert und ruhig zu. Mit jedem neuen Trauergast wird der Schmerz von neuem aufgewühlt und schafft sich in Klagen und Weinen Ausdruck. Gleichzeitig wird die Erinnerung an früher Verstorbene und andere Schicksalsschläge wachgerufen, und bald ist jede Anwesende lautstark sowohl in den gemeinsamen als auch in ihren individuellen Verlust vertieft. Die Trauertage bieten gewissermaßen einen legitimen Rahmen für solche Gefühlsausbrüche. Gelegentlich findet sich noch die Tradition der Klageweiber, die mit ihrem professionellen Wehgeschrei den Schmerz der Angehörigen anfeuern.

Das Zerreißen der Kleider, das eine Entblößung andeutet, und das Zerraufen der Haare ist kaum mehr üblich, wohl aber die Sitte, Asche oder Erde in die Haare zu streuen.

Solche Trauerbekundungen, ob professioneller Art oder in „Nachbarschaftshilfe“, geraten langsam in die Kritik. Es wird eingewendet, dass es oft gar nicht um den Verstorbenen gehe, sondern die Frauen würden die Gelegenheit ergreifen, um jeglichen Schmerz und Frust herauszuschreien. Das gewichtigste Argument aber ist, dass diese Sitte des Haareraufens und Schreiens pharaonisch sei, wie in alten Grabmalereien dargestellt, und damit ganz und gar unislamisch. Der Islam gebietet Geduld im Unglück. (Die Sitte, dass sich die männlichen Mitglieder der Trauerfamilie nicht rasieren, bleibt unangetastet.)

Szene aus dem Grab des Ramose (TT55), © Claudia Ali
Szene aus dem Grab des Ramose (TT55), © Leben in Luxor

So gestaltete sich auch meine Suche nach Frauen, die noch die traditionellen Klagelieder kennen, als schwierig. Die Männer rümpften auf meine Frage hin die Nase, desgleichen einige studierte Frauen. Die älteren Frauen waren vorsichtig interessiert. Als sich schließlich in der Stadt Luxor eine alte Frau fand, die als Kennerin gilt, wehrte diese zunächst ab mit der Begründung, sie habe kürzlich die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht und sei jetzt eine gute Muslimin. Erst als meine Mittelsfrau ihr glaubhaft versichern konnte, dass es keinen religiösen Kontext gibt, sondern es sich nur um eine Touristin mit etwas eigenartigen Interessen handelt, stimmte sie zu, an einem Abend die alten Lieder zu singen.

Das Vorhaben musste sich schnell herumgesprochen haben, denn im Empfangsraum des Privathauses, in dem der Abend stattfand, war schon die ganze Nachbarschaft versammelt, und immer mehr Frauen kamen dazu. Die Männer verzogen sich nach dem obligaten Tee, als sich die alte Frau zusammen mit einer Bekannten - kein Ägypter unternimmt je etwas allein - zum Singen bereit machte. Bald sangen auch viele Anwesende mit, allerdings kannten nur noch wenige die Texte.

Es gibt Lieder für verstorbene Männer und Frauen, für Söhne, Töchter, Kinder. Es sind schluchzende Gesänge mit sich immer wiederholenden Tonfolgen, die mit sehr poetischen Bildern und in vielen Strophen die Erinnerung an die geliebte Person evozieren, an ihre Jugend, ihre Schönheit, ihre Großherzigkeit … Obwohl es ja nur eine Art Vorführung war, weckten auch hier die Lieder Emotionen und viele Frauen begannen zu weinen - fast jede sprach nachher vom Ehemann, der Tochter, dem Sohn, den sie verloren hatte, durch den Tod oder z.B. auch durch Arbeitssuche in einem entfernten Land.

Das Argument, der eine oder andere Brauch sei unislamisch, nämlich aus der pharaonischen Periode, ist öfter zu hören in letzter Zeit. Viele Fernsehsender - und das Fernsehen erreicht auch das einfachste Lehmhaus - betreiben eine Art Aufklärung bezüglich des „wahren Islam“. Manches geht so verloren, auch weil es dem modernen Alltag besser entspricht, und man kann dabei zusehen wie alte Traditionen verschwinden. In nicht wenigen Familien entstehen so Konflikte zwischen den aufgeschlosseneren Männern und den Frauen - meist noch Analphabetinnen, die die Hüterinnen der überlieferten Sitten sind.

Umstritten ist z.B. die 40-tägige Trauerzeit. Während dieser Tage bleiben die nahen Verwandten, besonders die Frauen, im Haus der Trauerfamilie wohnen. Es gelten besondere Speiseregeln, die spezifischen Gebete und Koranlesungen werden weitergeführt, die Trauer wird immer wieder laut aufgefrischt - eine Rückkehr ins Alltagsleben ist so kaum möglich. Wenn nun der Hausherr heutzutage etwa verlangt, dass die Schwestern und Schwägerinnen nach den obligatorischen Pflicht-Tagen in ihre eigenen Häuser zurückkehren, führt das nicht selten zu Verstimmungen zwischen den Verwandten, die sehr lange anhalten können.

Fatimidischer Friedhof in Assuan, © Elisabeth Hartung
Fatimidischer Friedhof in Assuan, © Elisabeth Hartung

Der 40. Tag wird in der Regel noch eingehalten. Noch einmal versammelt sich die ganze Trauergemeinde, wieder nach Geschlechtern getrennt. Manche Familie bestellt gegen viel Geld einen berühmten Koran-Rezitator. Zum Schluss gibt es ein großes Mahl, für das ein Schaf, vielleicht sogar ein Kalb geschlachtet wird - man kann sich leicht an die pharaonischen Bilder der Trauerzüge erinnern, wo Kälber, Früchte, Getreide und Getränke vor und hinter der Bahre hergetragen werden.

Auch hier gibt es die Diskussion, ob diese Tradition mittlerweile mehr dem Prestige dient, eher ein Imponiergehabe ist, als der ursprünglichen Absicht zu entsprechen. Die Gabe soll nämlich dem Verstorbenen zugute kommen, was dadurch geschieht, dass dem Bedürftigen gespendet wird ohne jeglichen Eigennutz. Die Menschen, die zu solchen Anlässen kommen, seien in der Regel nicht diejenigen, die es nötig hätten, sondern die, die sich selber Fleisch leisten können. Also solle man den 40. Tag bescheiden gestalten: Jemand aus der Familie könne aus dem Koran lesen und es genüge, Getränke zu reichen. Dann kann das gesparte Geld - als Fleisch oder in anderer Form - an die wirklich Armen gegeben werden.

Der Älteste einer Trauerfamilie, der sich mit all diesen Fragen herumschlagen musste und bei seinen Leuten auf recht viel Widerstand stieß, befragte den angesehenen Scheich seines Dorfes. Dieser unterstützte ihn in seiner „modernen“ Haltung, fügte allerdings hinzu, es sei sehr wichtig, den Frauen genug Raum für ihre Art des Trauerns zu lassen.

Als dem Dorf verbundener, aber nicht dazugehörender Gast bleibt ein wenig Traurigkeit angesichts verlorengehender Wurzeln - und viel Respekt vor dem Bemühen um Echtheit und Ehrlichkeit in der Handhabung alter Traditionen und Rituale, die sich an die sich wandelnde Zeit anpassen müssen.

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