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Leben in Luxor Autorenforum: Ägypten verstehen - ein etwas anderer Sprachkurs, Teil 9: Heirat ist die halbe Religion - الجواز نص الدين al-gawâz nussi id-dîn

von Hans Mauritz (November 2014). Illustriert von Claudia Ali

 

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Bräute nach einer Massen-Hochzeitszeremonie in Kairo 2010
Bräute nach einer Massen-Hochzeitszeremonie in Kairo 2010

Vom arabischen Stamm ز و ج , der ursprünglich „verdoppeln“ heißt, ist das hocharabische Verb تزوّج „tazawwag“ „heiraten“ abgeleitet. Im Ägyptischen haben die beiden Konsonanten des Stammes ihren Platz getauscht, so dass „heiraten“ zu اتجوّز „itgawwiz“ geworden ist. Entsprechend heißen Ehemann und Ehefrau الجوز „al-gôz“ und الجوزة „al-gôza“, الجواز al-gawâz ist die Heirat und متجوّز „mitgawwiz“ heißt verheiratet. Auch wer nur wenig Arabisch gelernt hat, kennt letzteres Wort: Im Gespräch werden Touristinnen und auch Touristen meist sehr rasch danach gefragt. Vermutlich nicht immer ohne Hintergedanken.

Heiraten spielt im Leben der Ägypter eine zentrale Rolle. So vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendwo im Dorf geheiratet wird. Wer in Ägypten lebt, weiß, dass man unter den Männern von einem gewissen Alter an nur ganz wenige Junggesellen findet. Unter den Frauen gibt es verwitwete, geschiedene, verstoßene und von ihren Männern verlassene. Im ganzen Dorf aber kenne ich nur eine einzige Frau, die wir als „alte Jungfer“ bezeichnen würden. Junge Leute zu verheiraten ist moralische Pflicht, um Leidenschaften und Triebe in geordnete Bahnen zu lenken. Deshalb wird Heirat auch von der Religion her gefordert und gefördert.

Dennoch können Verlobung und Heirat zu einem langen und schwierigen Prozess werden. Zunächst sieht alles einfach aus: Ein junger Mann und ein junges Mädchen lernen sich kennen, sie gefallen einander und beschließen zu heiraten. In Kairo und in anderen großen Städten des Nordens kann dieses Kennenlernen, ähnlich wie bei uns, an Schulen, Universitäten, im schicken Freizeitclub oder im Berufsleben geschehen, vor allem wenn die Partner aus wohlhabendem, gebildetem Milieu kommen. In Oberägypten, vor allem auf dem Land und in bescheidenen Verhältnissen, wo viele junge Frauen das Haus selten verlassen, heiraten die meisten jungen Männer eine Cousine oder ein Mädchen aus der Nachbarschaft, d.h. eine Partnerin, die sie seit eh und je kennen. Dass man eine Cousine bevorzugt, hat mit der Sorge der Familien zu tun, dass ihr ohnehin kärglicher Landbesitz noch mehr zerstückelt wird. Soziologische Studien belegen, dass auch die jungen Mädchen ihren Vorteil dabei finden: Der bevorzugte Freier für ein Mädchen ist der Sohn der Tante mütterlicherseits. Wenn sie ihn heiratet, ist ihre Schwiegermutter gleichzeitig ihre Tante und sie hat in der neuen Familie von Anfang an eine Verbündete*.

Hochzeitspaar tanzend am Nil, © Franco Alzetti
Eine ungewöhnliche Szene: Hochzeitspaar tanzend am Nil, © Franco Alzetti

Einer der wenigen Orte, an denen junge Männer und Frauen aufeinander aufmerksam werden, sich zulächeln und in Kontakt treten können, sind Hochzeiten, zu denen Verwandte und Bekannte von weither eingeladen werden. Hochzeiten schaffen neue Hochzeiten. Was den ersten Kontakt und die weitere Entwicklung der Beziehung erleichtert, ist das Mobiltelefon. Seitdem es auch jungen Mädchen gestattet ist, ein solches Handy zu besitzen, verfügen sie über Möglichkeiten, von denen ihre Mütter nicht einmal träumen konnten.

Wenn ein junger Mann beschlossen hat, um die Hand eines Mädchens anzuhalten, bittet er seinen Vater, dem Vater des Mädchens einen Besuch zu machen. Sollte dieser unschlüssig sein oder sollten sich im Verlauf der Verhandlungen Schwierigkeiten ergeben, können auch andere Personen der Dorfgemeinschaft eingeschaltet werden. Diese Sache kann jedoch so heikel und gefährlich werden, dass das Sprichwort davor warnt: امشي في جنازة ولا تمشي في جوازة „imshi fi genâza we-lâ timshi fi gewâza“, „reih‘ dich lieber in einen Trauerzug ein, statt dich in Heiratsverhandlungen einzumischen.“ Sind die Brautväter sich einig, wird auch das junge Mädchen nach seiner Meinung gefragt. Brutal zur Heirat gezwungen wie in früheren Zeiten wird heute kaum ein Mädchen mehr. Der moralische Druck ist trotzdem groß. Einen Freier abzulehnen, wenn die Familie ihn wünscht, ist nicht leicht. Das junge Mädchen ist beeinflusst von traditionellen Werturteilen, mit denen es aufgewachsen ist. Wie die Volksweisheit betont, ist die Stellung der Mädchen in Familie und Gesellschaft fragil. البنت جناح مكسور „al-bint ginâh maksûr“, „das junge Mädchen ist wie ein gebrochener Flügel“. Weil man um ihre Unschuld und Ehre fürchtet, gilt es sie zu schützen: جواز البنات سترة „gawâz al-banât sitra“ „Heirat ist der Schutz der Mädchen“. Weil sie dies weiß, sollte eine junge Frau nicht all zu anspruchvoll sein: „زوج من عود خير من القعود“ „zaug min ‘ûd - khîr min al-qu’ûd“, „selbst ein Ehemann aus Holz ist besser als sitzen zu bleiben“. Sie hat gelernt, dass ihr gutes Benehmen die beste Voraussetzung dafür ist, dass ein Bewerber um ihre Hand anhält: تاج الفتاة من الأدن وتاج الملكة من الذهب „tâg al-fatât min al-adab… we-tâg al-malika min al-dahab“, „die Krone des jungen Mädchens besteht aus guten Manieren, die Krone der Königin aus Gold“. Gegenüber den Männern sollte sie sich spröde und reserviert verhalten: كتيرة الدلال يهرّب العاشق „ketîret al-dalâl yeharrab al-’âshiq“, „zuviel Koketterie verscheucht den Verliebten“. Wenn sie das alles beherzigt und einen Ehemann bekommt, verspricht ihr die Volksweisheit Ansehen und Ehre: المرأة زينة الدار „al-mar’a zînet ad-dâr“, „die Frau ist die Zierde des Hauses“. Sogar höchstes Glück wird ihr verheißen: اللي جوزها يحبّها ... الشمس يطلع لها „illi gôzhâ yehibbhâ … ash-shams yetla‘ lahâ“, „für eine, die von ihrem Mann geliebt wird, geht die Sonne auf“.

Brautpaar, Foto via mywedding.com
Foto via mywedding.com

Wer Sammlungen von arabischen Sprichwörtern und „Weisheiten“ durchblättert, stellt dagegen fest, dass Sprüche, die sich an den Mann wenden, oft ganz anders klingen: Frauen sind ein notwendiges Übel, wie das tägliche Brot, das wir verfluchen, aber hinter dem wir herrennen. Dem verliebten jungen Mann wird geraten, die Augen zu öffnen: أسأل عن الأم قبل البنت „is’al ‘an al-umm qabl al-bint“, „erkundige dich nach der Mutter, bevor du dich für das Mädchen interessierst“. Ob einer jungen Frau je angeraten wurde, sich zunächst mal den Vater des Freiers anzuschauen? Dem jungen Mann werden sogar größere Freuden verheißen, wenn er es nicht bei einer Braut bewenden lässt: جوز الاتنين عريس كل ليلة „gôz al-itneen ‘arîs kulli leela“ „wer mit zweien verheiratet ist, ist jede Nacht Bräutigam.“

Dass ein junges Mädchen in seinen Ansprüchen an den Freier nicht all zu unbescheiden sein sollte, lehrt uns auch der folgende Umstand: Wer einen jungen Mann nach seiner Zukunft fragt, erfährt nicht selten, dass er mit dem Bau und der Einrichtung der Wohnung schon weit vorangekommen ist. Fragt man ihn dann nach der Verlobten, hört man, dass er diese Wahl noch gar nicht getroffen hat. Es sieht fast so aus, als ob die Wahl der Braut bei der ganzen Sache nicht das Vordringlichste sei. Wer zynisch sein will, könnte sagen: Mädchen im heiratsfähigen Alter gibt es fast in jedem Haus. Und wer konstatiert, wie viele junge Männer von der Heirat mit einer Touristin und der Abreise ins Ausland träumen, könnte für manches junge Mädchen noch schwärzer sehen.

Sind die jungen Leute und ihre Familien sich einig, geht man daran, die Verlobung الخطوبة „al-khutûba“ vorzunehmen. Das Verb جطب „khatab“ heißt „eine Ansprache, eine Rede halten, predigen“ und erst in zweiter Linie „um die Hand eines Mädchens anhalten“. Die Verlobung besitzt also schon vom Sprachlichen her einen offiziellen Aspekt, der über das Private hinausgeht. Bei dieser Prozedur nehmen der junge Mann und das junge Mädchen eine verschiedene Stellung ein: Er ist الخاطب „al-khâtib“, sie ist المخطوبة „al-makhtûba“. Ihn bezeichnet das aktive, sie das passive Partizip des Verbs خطب: Er ist, wie es sich gehört, derjenige, der um ihre Hand anhält, sie diejenige, um welche angehalten wird. Zur Verlobung gehören الشبكة „ash-shebaka“ und الفاتحة „al-fâtiha“. „ash-shebaka“, von einem Verb gebildet, das „ineinanderfügen, verflechten, festmachen, befestigen“ und im Ägyptischen auch „eine Verlobung organisieren“ heißt, meint heute vor allem das Netz, das vorhanden sein muss. damit man telefonieren kann. In unserem Fall ist es das „Netz“, das die beiden Verlobten durch das Austauschen der Ringe aneinander bindet. Zu dieser Besiegelung gehört, dass man einen Scheich kommen lässt, der mit den Verlobten die Fâtiha, das moslemische Glaubensbekenntnis, liest. Die beiden jungen Leute sind jetzt خطيب „khatîb“ und خطيبة „khatîba“, Verlobter und Verlobte, stehen also nun, wenigstens sprachlich, auf derselben Ebene. Wenn alles gut geht, werden sie bald عريس „’arîs“ und عروسة „’arûsa“ sein, Braut und Bräutigam. Nach der Hochzeit dann spricht sie von جوزي „gôzî“, „meinem Mann“ und er sagt مراتي „merâti“, „meine Frau“.

Ein Scheich beim Ausfertigen der Heiratspapiere, © Uta Mohr
Ein Scheich beim Ausfertigen der Heiratspapiere, © Uta Mohr

Zwischen der Verlobung und der Hochzeit kann eine recht lange Zeit vergehen, denn das Heiraten verlangt Voraussetzungen, die in Zeiten der Krise immer schwieriger zu erfüllen sind. Eine Amtsperson setzt einen Vertrag auf, in dem genau festgesetzt wird, was beide Familien beizutragen haben. Diese Pflichten sind nicht willkürlich, sondern durch die Tradition bestimmt. Der junge Mann kümmert sich darum, eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Was Ausstattung und Mobiliar angeht, ist er für das Schlafzimmer, das Entrée und das Kinderzimmer zuständig. Was die Braut mitzubringen hat, ist die Ausstattung der Küche samt Kühlschrank, Waschmaschine und Geschirr, die Teppiche, Gardinen und heute meistens auch den Fernseher. Die Familie des Bräutigams bezahlt dem Vater der Braut المهر „al-mahr“, das Brautgeld, etwa 15‘000 Pfund oder mehr, von dem er seiner Tochter dann das Gold الدهب „al-dahab“ kauft. Diesen Schmuck legt sie an bei den seltenen passenden Gelegenheiten, die ihr das Leben bieten wird, aber er ist vor allem eine „Lebensversicherung“, die sie im Unglück (beim Tod des Gatten oder einer Scheidung) vor Elend bewahrt.

Gold für die Bräute, Foto via Emirates 24|7
Gold für die Bräute, Foto via Emirates 24|7

Mit der Erstellung der Wohnung muss der Bräutigam nicht bei Null beginnen. Seit Jahren hat der Vater vorgesorgt, damit seine Söhne heiraten können. Es gibt auf dem Land in Oberägypten wohl kaum ein Haus, auf dessen Dach nicht Betonpfeiler und Stahlkabel herausragen, später auch halbfertige Mauern, an deren Vervollständigung weitergearbeitet wird, sobald das Geld dazu vorhanden ist. Ist aber der Hochzeitstermin festgesetzt, wird alles auf wundersame Weise vollendet. Verwandte und Freunde leisten großzügig ihren Beitrag, und viele Familien verschulden sich auf Jahre hinaus. Die Ägypter machen erstaunte Augen, wenn wir ihnen erzählen, dass bei uns in Europa junge Menschen zusammenziehen, ohne zu heiraten, und dass sie dies auch tun, wenn Möbel und Hausrat nur rudimentär vorhanden sind. In Ägypten ist es selbst für die Allerärmsten Pflicht, am Tag der Hochzeit eine Wohnungseinrichtung zu präsentieren, deren Glanz ins Auge sticht und die für kurze Zeit die Mühsal des Lebens vergessen lässt. Zwei Tage vor der Hochzeit fährt ein offener Lastwagen durchs Dorf, der jene Dinge ins neue Heim transportiert, welche die Braut beizusteuern hat. Dieses Ereignis nennt man العفش „al-’afsh“, was „Möbel, Hausrat“ heißt.

Die Hochzeitsfeier dauert drei Tage, wobei an den beiden ersten Tagen parallel im Haus des Bräutigams und im Haus der Braut gefeiert wird. Sie heißt الفرح „al-ferah“, was sowohl Freude wie Hochzeit heißt. In der Tat scheint es uns Fremden, dass Hochzeiten (und Geburten) die einzigen Freuden im Leben mancher Leute sind. Wir alle kennen diese Explosionen von Freude, denn sie erzeugen einen Lärmpegel, der meilenweit zu hören ist. Familien, die ihre Frömmigkeit zeigen möchten und es sich leisten können, lassen einen Scheich kommen, der aus dem Koran rezitiert, oder sie laden eine Sufi-Bruderschaft ein, die sich mit Liedern und rhythmischen Bewegungen in Ekstase versetzt. Ansonsten besteht die Feier vor allem aus lauter Musik, wobei die Musiker aus Kostengründen leider mehr und mehr durch eine „Sound Machine“ ersetzt werden, die nur noch einen DJ zur Bedienung braucht und oft schon Stunden vorher die Nachbarschaft mit ihrem Lärm erfreut. Für uns Fremde mag dies störend sein, und trotzdem könnten wir fast neidisch werden: Welchen Aufwand treiben wir in Europa mit erlesenen Speisen, Weinen und Champagner, mit Entertainment und Attraktionen, um den Brautleuten und Gästen ein unvergessliches Fest zu bieten. In Ägypten, zumal bei den Armen auf dem Lande, genügen laute Musik und viele, viele Menschen.

Hochzeitsfeier in der Oase Dachla, © Uta Mohr
Hochzeitsfeier in der Oase Dachla, © Uta Mohr

Erst am dritten Tag finden Braut und Bräutigam zueinander. Die Braut hat vorher noch einen anderen Programmpunkt zu absolvieren: Sie wird zu الكوافير „al-kwâfîr“ begleitet, dem Friseur, der in seinem eleganten Salon selbst das bescheidenste Mädchen vom Land für einen Abend und eine Nacht in eine Königin verzaubert. Der Aufwand an ماكياج „makyâj“ „Schminke“ ist dabei so enorm, dass der Schreibende gesteht, er müsste fürchten, wäre er der Bräutigam, seine eigene Braut nicht zu erkennen. In der Tat werden alle Frauen so herausgeputzt, dass sie fast unkenntlich sind. Die Braut freut sich am schönsten Tag in ihrem Leben, aber sie steckt dabei in einer Verkleidung, die ihre Identität fast zum Verschwinden bringt. Dass sie für einmal ganz im Mittelpunkt steht, zeigen die Rufe der Leute, sobald sich eine Hochzeit nähert: Sie schreien عروسة … عروسة „’arûsa… ‘arûsa“, „die Braut … die Braut“; aber dieser Jubel gilt eigentlich nicht ihr, sondern einem „glamour girl“, das unecht, fast leblos und irreal wirkt. So ist verständlich, dass in Ägypten die Kinder ihre Puppe ebenfalls „’arûsa“ nennen.

Nach dem Friseur geht es zu المصوّر „al-mussawwir“, dem Fotografen: Vor einem romantischen Hintergrund schauen sich Braut und Bräutigam zärtlich in die Augen, wie Stars aus einem Film oder einer „soap opera“ im Fernsehen. Niemals mehr wird man sie in dieser Pose sehen, denn Zärtlichkeit unter Eheleuten in der Öffentlichkeit ist streng tabu. Aber ein großes Hochzeitsbild hängt an der Wand, und das Fotoalbum wird wie ein Schatz aufbewahrt und Jahre lang den Besuchern präsentiert. Komme, was wolle, und sei das Leben mühsam und beengt: Braut und Bräutigam haben einmal im Leben den Glanz der großen Welt gekostet. In einer Autokolonne und begleitet von einer riesigen Schar von Kindern und Jugendlichen fahren sie laut hupend durch das Dorf und erreichen die lärmende Hochzeitsgesellschaft, die seit Stunden auf sie wartet.

Typisches ägyptisches Hochzeitsfoto, © unbekannt
Typisches ägyptisches Hochzeitsfoto, © unbekannt

Dieser dritte Abend der Hochzeit heißt ليلة الدخلة „leelit id-dukhla“, „die Hochzeitsnacht“. Die arabische Bezeichnung mag uns in ihrer Unverblümtheit befremden: das Verb دخل „dakhal“, das hier „die Hochzeit vollziehen“ meint, heißt eigentlich „hineingehen“ und „eindringen“. Unser Schamgefühl wird auch strapaziert, wenn wir erleben, dass die Hochzeitsgäste feiern und lärmen, während sich das Hochzeitspaar zurückzieht. Wenn es sich später am Fenster zeigt, wird ihm mit Freudentrillern applaudiert. Einzig der alte Brauch, das blutbefleckte Tuch zu präsentieren, wird heute nicht mehr praktiziert. Die Hochzeitsnacht dürfte für manche Neuvermählten eine gehörige Portion an Stress bedeuten. Die Braut und oft auch der Bräutigam haben Liebe und Zärtlichkeit nicht so gelernt wie ihre Altersgenossen bei uns im Westen. Wenn der junge Mann in einer Stadt wie Luxor lebt oder in einem Touristenort am Roten Meer arbeitet, hat er vielleicht Erfahrungen bei Ausländerinnen gesammelt. Da viele Ägypter der Überzeugung sind, fremde Frauen seien „besser im Bett“ als einheimische, kann die Braut so von Anfang an in eine heikle Position geraten.

Am Morgen nach der Hochzeitsnacht sitzen die Neuvermählten auf einer Estrade vor dem Haus und nehmen die Glückwünsche von Nachbarn und Freunden entgegen. Reihen wir uns in die Schar der Gratulanten ein. Seien wir optimistisch: Es gibt in Oberägypten wohl weniger unglückliche Ehen als bei uns daheim. Vermutlich ist man realistischer, rechnet weniger überschwänglich mit absolutem Glück und kann deshalb weniger leicht enttäuscht werden. Es gibt auch weniger Reibungsfläche zwischen den Eheleuten, denn sie lebt in ihrer Frauenwelt, er in seiner Männerwelt. Wichtig für die Neuvermählte ist, dass sie sich mit ihrer Schwiegermutter und ihren Schwägerinnen gut versteht. Mit ihnen verbringt sie in gemeinsamer Arbeit, plaudernd und lachend, einen Großteil ihrer Zeit. Das Kinderzimmer ist bereits vorhanden ist, und so bekommt sie bald eine Aufgabe, in der sie voll aufgeht. Welchen Dingen auch immer der Ehemann sich künftig widmen wird: Die Freude an den Kindern teilt er mit seiner Frau. Es gibt für jeden Ibrahîm und jeden Sayyed kein größeres Glück, als wenn die Leute ihn „Abu Mohammed“ oder „Abu Ahmed“ nennen.

 

Anmerkung:

*Vgl. Andrea B. Rugh: [Anzeige] Family in Contemporary Egypt, The American University in Cairo Press 1985, S. 112f

 

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