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Leben in Luxor Autorenforum: Ägypten verstehen - ein etwas anderer Sprachkurs, Teil 10: Wo ist das Brot? Wo ist das Leben? - فين العيش؟ feen al-'êsh?

von Hans Mauritz (Februar 2015). Illustriert von Claudia Ali

 

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Foto via cairocologne.wordpress.com
Foto via cairocologne.wordpress.com

Dieser Satz, der während der Revolution vom Januar 2011 auf vielen Mauern von Kairo zu lesen war, spielt mit den beiden Bedeutungen des Wortes عيش, das im Ägyptischen „Brot“ und im Hocharabischen „Leben“ meint. Diese Doppelbedeutung ist nicht verwunderlich: Auch im Deutschen sprechen wir vom „Broterwerb“ und verwenden den biblischen Ausdruck „unser täglich Brot“, wenn wir den Lebensunterhalt und die materielle Basis unseres Lebens meinen. Im Ägyptischen spielen viele Redensarten mit diesem Doppelsinn. اكل عيش ازّاي؟ âkul ’êsh izzâi?“ „wie soll ich Brot essen?“ meint „wovon soll ich meinen Lebensunterhalt bestreiten?“ كلنا سوى عيش وملح „kolnâ sawâ ‘êsh we-malah“ „wir haben zusammen Brot und Salz gegessen“ heisst „wir sind gute Freunde, sind zusammen durch dick und dünn gegangen“.

Brot wird täglich in grossen Mengen verzehrt. Die Nahrung der Armen besteht zu einem beträchtlichen Teil aus Brot, Fûl فول und Falafel, die man in Oberägypten طعميّة „ta’amiyya“ nennt. Auch die weniger Armen essen viel Brot, zumal Ägypter traditionellerweise kein Besteck benutzen, sondern die Speisen zu sich nehmen, indem sie Brot hineintunken oder sie zwischen das Brot klemmen, das sie in der Hand halten. Auf dem Land sind die Frauen mehrmals in der Woche damit beschäftigt, عيش شمس „‘êsh shams“, „Sonnenbrot“ zu backen, das sie in der Sonne aufgehen lassen, bevor sie es in den tradionellen Ofen hineinschieben.

Frau auf der Westbank von Luxor beim Brotbacken, © Claudia Ali
© Claudia Ali

Wer, wie die meisten Städter, nicht selbst bäckt, kauft erstaunliche Mengen von Fladenbrot, عيش بلدي „‘êsh baladi“, „Landbrot“ genannt. Die Allerärmsten holen sich ihren Anteil nicht beim Bäcker, sondern in speziellen Backstuben, die vom Staat subventioniertes Brot verkaufen. Für ein ägyptisches Pfund bekommt man dort nicht fünf, sondern zehn Fladenbrote, d.h. man spart kaum mehr als fünf Cent. Diese Läden erinnern fast an ein Gefängnis: Der Verkäufer ist durch ein vergittertes Fenster von den Kunden abgetrennt, damit diese ihm das Brot nicht aus der Hand reißen können. Dort bilden sich jeden Morgen lange Schlangen, die schwarz gekleideten Frauen rechts, die Männer links aufgereiht, die geduldig warten, bis die Backmaschine wieder eine Ladung ausspuckt und sie an der Reihe sind. Weil dieses Brot noch brennend heiß ist, legen sie es zum Abkühlen auf die nächste Treppe oder aufs Trottoir. Wenn das Getreide für dieses subventionierte Brot aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen knapp wird, führt das zu Engpässen und zu zornigen Reaktionen, die in Handgreiflichkeiten und sogar in Aufruhr ausarten können.

Anstehen für subventioniertes Brot, Foto via Krone.at
Foto via Krone.at

Die zweite Bedeutung, „wo ist das Leben?“, meint „wo ist ein Leben, das erfüllt und sinnvoll wäre?“ Die Krise, die Ägypten in den Jahren vor der Revolution erlebt hat (und leider heute noch erlebt), hat die Unter- und Mittelschicht schwer getroffen. Viele Jugendliche hatten und haben das Gefühl, keine Zukunft zu haben. Sie sitzen im Internet-Café, kreisen zu dritt oder zu viert ziellos auf dem Motorrad umher, stehen auf der Straße, warten auf irgend etwas Unbestimmtes oder scheinen auf gar nichts mehr zu warten. „Wir sind die Generation, die nichts mehr zu verlieren hat“, fasst Ahmed Alaidy in seinem Roman [Anzeige] Being Abbas el-Abd“ diese „no future“-Stimmung zusammen*. Wer Arbeit hat, verdient oft zu wenig oder macht einen Job, für den er überqualifiziert ist. Taxifahrer, Kellner und Arbeiter, die bei archäologischen Ausgrabungen den Schutt abtransportieren, verfügen oft über einen Universitätsabschluss. Im Januar 2011 explodierte diese Frustration und führte dazu, dass Menschen, die sich in der erstarrten, „bleiernen“ Zeit der Mubarak-Herrschaft nie politisch engagiert hatten, zu Millionen auf die Straße gingen und einen Slogan skandierten, der mit Schablonen an die Mauern gesprayt wurde: عيش, حرّيّة, عدالة اجتمايّة „‘êsh, hurriyya, ’adâla igtima’iyya“, „Brot (und ein lebenswertes Leben), Freiheit und soziale Gerechtigkeit“.

Das Wort „’êsh“ ist abgeleitet vom Verb عاش / يعيش „’âsh / ye’îsh“, das „leben“ bedeutet. Davon sind auch die Substantive عيشة „’êsha“ und معيشة „ma’îsha“ gebildet, die beide „Lebensweise, Leben in Bezug auf seine materielle Basis“ bedeuten. العيشة هنا صعبة „al-’êsha hina sa’ba“, „das Leben ist schwierig hier“, الميشة غالية „el-ma’îsha ghalya“, das Leben ist teuer, قرفت من عيشتي „qirifti min ’eshti“, „ich hab‘ die Nase voll von meinem Leben“, دي عيشة تكفّر „dî’îsha tkaffar“, „dieses Leben ist so schlimm, dass man zu einem Ungläubigen werden könnte“. Wie wir sehen werden, wird „Leben“, wenn es eine weniger alltägliche, materielle Bedeutung hat, von einem anderen Wortstamm gebildet.

Vom Verbstamm ع ي ش ist auch das Substantiv المعاش „al-ma’âsh“ gebildet, das „Rente, Pension“ bedeutet. Das Problem westlicher Staaten, nämlich die Frage, wie man der zunehmenden Zahl von Pensionierten ihre Altersversorgung finanzieren soll, stellt sich der ägyptischen Regierung nicht: Pensionsberechtigt sind fast nur die Staatsangestellten. Wer nicht im Staatsdienst gearbeitet hat, ist darauf angewiesen, dass seine Kinder, vor allem seine Söhne, im Alter für ihn sorgen. Wer keine Kinder hat, ist auf Almosen angewiesen oder muss betteln gehen. Die Aussicht auf eine noch so bescheidene Rente führt dazu, dass Arbeit beim Staat, trotz ihrer mageren Entlöhnung, attraktiv bleibt. Verheiratete Frauen geben in Oberägypten meist ihren Beruf auf. Ihre Männer drängen sie dazu, denn sonst würden Bekannte und Nachbarn hämisch sagen, diese Männer könnten nicht für ihre Familien sorgen. Lehrerinnen und Krankenschwestern aber arbeiten nach der Heirat weiter, um ihren Anspruch auf eine Pension nicht einzubüßen.

Die arabische Sprache kennt für „leben“ noch einen zweiten Verbstamm, nämlich ح ي ي. Dieses Verb selbst wird freilich selten verwendet und ist durch ع ي ش verdrängt worden. Von ihm abgeleitete Substantive und Adjektive dagegen gehören zum alltäglichen Wortschatz. Wer vom Leben in abstrakten, geistigen oder biologischen Sinn, vom Leben im Gegensatz zum Tod redet, benutzt الحياه „al-hayya“ bzw. الحياة „al-hayyât“, wenn das Wort durch einen Genitiv determiniert ist. بين الموت والحياه „been al-moot w-al-hayya“, „zwischen Leben und Tod“, عاش حياة سعيدة „‘âsh hayya sa’îda“ „er hat ein glückliches Leben geführt“. Zu seiner Liebsten sagt man يا حياتي „ya hayâti“, „Du mein Leben“. Wenn man eine Aussage durch einen Eid beteuern will, sagt man وحياتك „we-hyâtak“ „bei deinem Leben“, oder وحياة النبي, „we-hyât in-nabi“ „beim Leben des Propheten“. Die Biologie heißt علم الحياه „ilm al-hayya“, „Wissenschaft des Lebens“. Wir alle kennen den Ausruf حي „hayya“, „auf geht’s, los!“, denn wir hören ihn fünfmal am Tag, wenn der Muezzin zum Gebet ruft: حيّ على الصلاه „hayya’ala as-salâ“ „kommt zum Gebet!“

Jean-Léon Gérôme: La Prière au Caire, 1865
Jean-Léon Gérôme: La Prière au Caire, 1865

Das Wort حيّ „hayy“ kann ein Adjektiv oder ein Substantiv sein. Als Adjektiv meint es „lebend, lebendig, rege, aktiv“. الحيّ „al-hayy“, „der Lebende“ ist einer der 99 Namen Allahs. An den Sufi-Zeremonien neigen sich die Derwische nach vorn, richten sich dann auf und rufen „hayy“. Als Substantiv meint حيّ das Stadtviertel, den Distrikt, die Nachbarschaft, vor allem in den historischen und volkstümlichen Gebieten von Kairo. Die einfachen, zum Teil vom Land und aus Oberägypten zugewanderten Bewohner haben hier ihre dörflichen Strukturen bewahrt und verbringen hier ihr Leben, ohne sich groß um den Rest der riesigen Stadt zu kümmern. حيوي „hayawi“ heißt „vital, voll von Leben, lebenswichtig“, الحيوية „al-hayawîya“ „Vitalität, Lebenskraft, Tatkraft und Schwung“. Zum Stamm ح ي ي gehört auch das Verb حيّا „hayyâ , das „leben lassen, am Leben erhalten, grüßen und salutieren“ bedeutet. حيّاك الله „hayyâk Allah“ heißt „Gott behüte dich und erhalte dich am Leben“. التحيّة at-tahiyya“ bedeutet „der Gruß“. Wer in der Nähe einer Schule wohnt, erlebt täglich تحيّة العلم „tahiyyet al-’alam“, die Zeremonie, in welcher Lehrer und Schüler vor Beginn des Unterrichts die ägyptische Flagge grüßen.

Zum selben Stamm gehört schließlich الحيوان „al-hayawân“, pl. الحيوانات „al-hayawânât“, „Lebewesen, d.h. Tier“. Wer in Ägypten lebt, weiß, wie unsensibel, ja grausam manche Ägypter die Tiere behandeln. In der neuesten Verfassung des Landes hat zwar ein Paragraph Eingang gefunden, welcher den Schutz der Tiere fordert. Vorläufig steht dieser Artikel aber wohl nur auf dem Papier. Andererseits bemerken wir Fremden, wie viele Menschen auf dem Land in Konvivialität, fast in Symbiose mit ihren Haustieren leben. Die Bauernfamilie bei mir nebenan hat eine Wohnung in einem modernen Betonhaus. Die Großmutter aber, die noch nie in einem solchen Haus gewohnt hat, besteht darauf, in einem Verschlag direkt neben dem Stall zu bleiben. Dort schläft sie zusammen mit den Enkeln, und jeden Tag setzen sich die Frauen des Hauses zu ihr auf den Boden, essen, plaudern, lachen und schreien mit den Kindern, während Büffelkuh und Esel unmittelbar daneben stehen, zuschauen und ihre Stimmen ins Gespräch einbringen. Ein Tableau wie vor zweitausend Jahren: Maria und Joseph und das Kind in der Krippe im Stall zu Bethlehem…

Bild via Daily Mail Online, Künstler unbekannt
Bild via Daily Mail Online, Künstler unbekannt

 

Anmerkung:

*Englische Übersetzung bei AUC 2006 bzw. Haus Publishing Ltd 2008. Das arabische Original ist 2003 bei Dâr Merît erschienen. Vgl. dazu Hans Mauritz, KEMET 4/2012, S..76ff

 

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