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Leben in Luxor Autorenforum: Der Mythos vom Dorf oder „Die Hochzeit des Zain”

von Elisabeth Hartung † (2013)

 

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© Elisabeth Hartung

[Anzeige] Die Hochzeit des Zain” ist eine Erzählung des 2009 verstorbenen sudanesischen Autors Tayyib Salih (auch: Tajjib Salich). Er veröffentlichte sie 1966, und sie ist im Gefolge seines 1971 erschienenen Romans [Anzeige] Zeit der Nordwanderung”, der Kultstatus erlangte, ebenfalls berühmt geworden. In diesem Roman wird in meisterlicher Weise ein Thema gestaltet, das im 20. Jahrhundert zu einem Hauptthema der arabischen Literatur geworden ist: der Einfluss des Westens auf Menschen, die ihre Wurzeln in traditionellen Gesellschaftsstrukturen der sogenannten dritten Welt haben und die ihr Land verlassen, um sich das Wissen der sogenannten ersten Welt anzueignen.

Es ist der Topos der Geschichte des begabten Studenten, der mit einem Stipendium versehen aus seiner meist ländlichen Heimat über die Zwischenstation Kairo, das ihn bereits in eine ganz andere Welt katapultiert, zum Studium nach Europa (oder Amerika) reist. Dort sieht er sich mit Lebensstilen und Denkweisen konfrontiert, die die Űberzeugungen und Werte seiner Herkunftswelt erschüttern und nicht selten völlig auf den Kopf stellen. So bleibt er in der Fremde ein Fremder, trotz aller angestrengten Anpassungsversuche (falls er nicht in Wut und Rachegefühle versinkt, was in der Entwicklung des Protagonisten bei Salih so angelegt ist). Kehrt er dann in seine Herkunftswelt zurück, wo er seine Wurzeln hat, ist er wiederum nicht mehr der fraglos und selbstverständlich dort Beheimatete, sondern er muss sich mit den alten Strukturen und Traditionen kritisch auseinandersetzen und ist auch hier der Außenseiter, der um seine Identität kämpft. „Ich bin eine Lüge”, sagt der in London reüssierende Protagonist der „Nordwanderung” immer wieder von sich.

Tajjib Salich: Zeit der NordwanderungIch erinnere mich an eine Lesung Salihs in Zürich 1998, während der er seinen Roman von der „Nordwanderung” vorstellte. Der nur schwach beleuchtete Raum - ein Theatersaal - war voll dunkler junger Menschen, durchmischt mit einigen hellen und deutlich älteren Gestalten. Alle afrikanischen Studenten der umliegenden Universitäten waren offenbar angereist. Im Schutz des dämmrigen Raumes liefen vielen während der Lesung die Tränen übers Gesicht. Und als anschließend Gelegenheit zu Bemerkungen und Fragen war, waren die Emotionen der über ihre persönliche Erfahrung sprechenden Studenten so stark, dass bald nur noch Arabisch gesprochen wurde und der Übersetzer fast keine Chance mehr hatte. Es war für mich eine Lektion über die Unmittelbarkeit und Wirksamkeit von Literatur.

Der Gegenpol zum „Norden” ist „das Dorf”, das in der Literatur des 20. Jahrhunderts bis in unsere Tage ebenfalls immer wieder zum Thema gewählt wird. Auch im Alltag kann man beobachten, wie Autoren und andere Intellektuelle häufig das Dorf beschreiben und würdigen, aus dem sie kommen, auch wenn sie schon seit Jahrzehnten in Kairo leben, und manchmal scheint der Funke auch auf westliche Besucher überzuspringen.

So ließ es sich vor wenigen Jahren der bekannte Kulturschaffende und Dichter Gamal Al Ghitani nicht nehmen, seinen Gast Hugo Loetscher, den inzwischen verstorbenen Schweizer Schriftsteller, nach einem Kongress in Kairo in seine oberägyptische Heimat einzuladen. Loetschers Berichte über seine Ägypten-Eindrücke gingen schnell über Kairo hinweg, aber er beschrieb detailliert und liebevoll seine Beobachtungen und Erfahrungen mit den Menschen und ihren Gebräuchen auf der Westbank von Luxor.

© Elisabeth HartungNicht nur in biographischen Werken ist das Dorf der Ort der verlorenen Kindheit, die zumindest rückblickend trotz vieler Beschwernisse und Einschränkungen als meist unbeschwerte, glückliche Zeit beschrieben wird. In der Welt des Dorfes, wo die traditionellen Ordnungen der überschaubaren Gemeinschaft Sicherheit und Geborgenheit gaben, finden sich die Wurzeln, nach denen immer wieder gesucht wird. Dieses Verwurzeltsein des Einzelnen ist selbst da spürbar, wo vorwiegend die dunkle Seite des Lebens im Dorf geschildert wird: die Härten der Natur, die unerbittlichen Gesetze der Tradition, die ständige soziale Kontrolle, die schnell aufflammende Gewaltbereitschaft der Männer.

Im Werk von Tayyib Salih ist das Dorf, dessen schwierige Seite nicht geleugnet wird, ein Ort der Hoffnung. Hier, an den Ufern des Nil, wo die Menschen sich ihrer Jahrtausende alten Verwurzelung bewusst sind, traut er ihnen die Kraft zu, immer wieder eine Harmonie herzustellen zwischen Mensch und Natur, Moderne und Tradition, und auch die Spannungen zwischen orthodoxem Islam und seiner mystischen Seite im Volksglauben zu überbrücken.

Die Erzählung [Anzeige] Die Hochzeit des Zain” gestaltet an ihrem Höhepunkt die Schilderung des Hochzeitsfestes zum umfassenden Symbol für das mögliche Gleichgewicht dieser gegensätzlichen Kräfte und ermutigt zur Vision eines versöhnlichen Zusammenlebens in Verschiedenheit. Es ist ein modernes Märchen, das einen realen Kern hat und sich ereignen kann. Ich hörte in Zürich oder Kairo lebende Ägypter sehnsüchtig sagen: „Genau so war es bei uns früher auf dem Dorf.” Und mir hilft die Erzählung immer wieder neu, das Dorf besser zu verstehen und merkwürdig erscheinende Geschehnisse einzuordnen.

Die Geschichte des Zain beginnt, wie bei vielen Helden und Heiligen, mit einer Geburtslegende - allerdings nicht mit besonderen Gefahren oder Heldentaten, sondern mit einem Lachen. Neugeborene beginnen das Leben bekanntlich mit Geschrei. “Glaubt man aber der Mutter des Zain und den anderen Frauen, die seine Geburt miterlebten, so brach er, kaum dass er die Erde berührte, in Lachen aus. Und so blieb er ein Leben lang."

Der Zain ist eine Art Trickster, ein Narr, ein Clown. Wir Westler würden ihn wohl als Dorftrottel oder sogar als Behinderten empfinden und ihn in irgendeiner Institution platzieren. Die Leute im Dorf bezeichnen ihn manchmal als Derwisch, manchmal als Heiligen und gelegentlich auch als Ungeheuer, aber sein Platz mitten unter den Dorfbewohnern ist unbestritten, und nicht selten steht er im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zain hat einen unproportionierten Körper, fast keine Zähne, Nägel wie Krallen, er geht barfuss und sein Körper ist voller Narben, denn er provoziert immer wieder Prügeleien. Die Kinder hänseln ihn und rufen ihn „Giraffe”, die Frauen necken ihn, er ist unglaublich gefräßig und sein Gelächter gleicht dem Geschrei eines Esels.

Und dieser Zain wird nun heiraten – die Neuigkeit breitet sich wie ein Lauffeuer im Dorf aus und verursacht einen regelrechten Tumult: Die Männer lassen ihre Geschäfte fahren und trinken erst einmal Kaffee, die Kinder lachen, die Frauen kreischen und machen Späße. „Doch all diesen Lärm übertönte das Lachen, das zum Dorf gehörte, seit der Zain geboren war.

Die Figur des Zain ist voller Widersprüche, und zu jeder Beschreibung von ihm findet sich auch ein Gegenteil. So ist er, dessen Name „Schmuck“ bedeutet, zwar von tierähnlicher Hässlichkeit (er erinnert dabei an das Motiv des Tierbräutigams in Grimms Märchen, der von einer Prinzessin erlöst werden muss), aber er hat ein untrügliches Auge für Schönheit.

Die Liebe ergriff den Zain zum ersten Mal noch bevor er erwachsen wurde. Er war schmal und mager wie ein dürrer Ast. Doch was die Leute auch über ihn sagten, sie gaben zu, dass er einen vortrefflichen Geschmack besaß. Seine Liebe fiel immer auf Mädchen, die an Schönheit, Benehmen und feiner Sprache nicht ihresgleichen hatten. Der Zain war der erste, der die jungen Männer auf Azzas Schönheit aufmerksam machte. Eines Tages erscholl plötzlich seine Stimme, so heiser und scharf wie ein Hahnenschrei: „Oh, ihr Leute im Dorf, ihr Nachbarn! Azza, die Tochter des Omda hat ein Opfer gefunden. Der Zain hat im Haus des Omda sein Herz verloren.“ Über diese offenen, unerhörten Worte staunten die Leute. Der Omda wandte sich heftig dem Zain zu, von jähem Zorn gepackt. Doch plötzlich war es als hätten sie alle den lächerlichen Widerspruch zwischen Azza, der Tochter des Omda, und dem Zain, der dürr wie eine vertrocknete Ziege vor ihnen stand, erfasst. Alle brachen zugleich in Gelächter aus, der Zorn des Omda erstarb.

Es dauert nicht lange, bis das von Zain entdeckte Mädchen heiratet, und bald beginnt er dann mit einer neuen Liebesgeschichte. Er zieht durch die verschiedenen Weiler des Dorfes, schert sich nicht um Arm oder Reich, macht auch nicht halt vor den vom Dorf gemiedenen Zelten der Nomaden, denn „der Zain durchbrach alle Schranken“, und immer wieder verursacht er Skandale. Bis eines Tages die Mütter erfassen, was für wichtige Dienste der Zain als Ausrufer ihrer Töchter leisten kann in einer Gemeinschaft, die die jungen Mädchen strikt von den Männern trennt. Und so wurde er zum Boten der Liebe.

Glücklich war diejenige, die ihm gefiel und deren Name er auf den Lippen trug. Dieses Mädchen konnte sicher sein, in einem bis zwei Monaten einen Bräutigam zu haben." Für Zain beginnt nun eine wunderbare, satte Zeit. Die Mütter reißen sich darum, ihn einzuladen und mit Leckerbissen zu füttern, und niemand nimmt ihm mehr seine Scherze und zuweilen groben Neckereien übel. Nur von einer spricht er nie und macht keine Späße mit ihr: Naima. Ein Mädchen, das ihm aus der Ferne mit schönen, zornigen Augen nachschaute. Wenn er sie sah, wurde er still und hörte mit seinen Späßen auf. Sah er sie auch nur von Ferne, lief er davon und nahm einen anderen Weg. Naima, ihr Name bedeutet „Gnade", gilt als das beste Mädchen im Dorf, und sie ist es, die ihn später heiraten wird, was noch einigen Aufruhr verursachen wird, denn viele wichtigen Männer des Dorfes haben ein Auge auf sie geworfen. So unwirklich diese Heirat den Dorfleuten - und dem Leser - erscheinen mag, so werden wir doch langsam auf dieses unerhörte Ereignis vorbereitet:

Zain, heißt es, habe seltsame Freunde, die scheinbar nicht zu dieser Gestalt passen. Sie enthüllen eine ganz andere Seite von ihm und damit auch vom Dorf, in das eingebettet er lebt und das ihn so sein lässt, wie er ist.

Da ist, nebst Naima natürlich, die Gruppe der tatkräftigen, aufgeklärten Männer, die auf ihn aufpassen und ihm aus mancher Kalamität helfen; Da ist der ins Elend gekommene und verachtete Dorfbewohner, dem Zain zuverlässig hilft und der ihn für einen Heiligen hält. Da ist seine Mutter, die von seltsamen, geheimnisvollen Vorfällen in der Kindheit des Sohnes erzählt. Und da ist vor allem Hanin - eine komplementäre Gestalt zur Figur des Zain.

Hanin ist ein Asket, ein „Gesegneter“, ein Wanderer, der nur mit seinem Stock und einem Bündel ausgerüstet plötzlich im Dorf auftaucht und ebenso plötzlich auch wieder verschwunden ist, und niemand weiß, woher und wohin. Solche Gestalten, die von Dorf zu Dorf ziehen, sind in Oberägypten immer noch anzutreffen. Sie sind meist sehr beliebt, erfreuen sich einer gewissen Narrenfreiheit und haben ungefragt Zugang zu allen Anlässen und zu allen Kreisen: Reiche, Arme, Männergesellschaften, Jugendgruppen - selbst an den Orten der Frauen dürfen sie einfach auftauchen. Ich erinnere mich an meine Verblüffung, als ich beim Einkauf in einem Regierungsladen plötzlich einen großen Rabatt erhielt mit der Begründung, ich sei gleichzeitig mit einem Derwisch eingetreten und habe diesem dabei die Tür aufgehalten!

Manche Leute, wie in der Erzählung, begegnen diesen Gestalten auch mit Misstrauen, denn sie brechen Tabus und sind dadurch unberechenbar. Doch die meisten Familien würden sich geehrt fühlen, wenn sie bei ihnen zu einer Mahlzeit oder über Nacht einkehren würden, denn sie gelten als Gesegnete und bringen Segen. Wanderer wie Hanin nehmen keine Geschenke an, vor allem kein Geld, aber sie nehmen für einen Moment am Dorfleben teil und es kann durchaus dabei ein kleines Wunder geschehen. Es sind Gestalten, denen nach dem Tod vielleicht ein Kuppelgrab errichtet wird und zu denen die Frauen auf den Friedhof pilgern, um Hilfe zu erbitten.

Die Gestalt des Hanin bringt uns mit der mystischen Dimension des Islam in Beziehung. Die Heiligen werden im Sufismus folgendermaßen beschrieben (s. Schimmel S. 284ff): „Sie erkennen einander, verhüllen sich aber vor den Augen des Volkes. Ihre Gebete werden erhört, durch ihre Gebete kann z.B. Regen fallen. Wenn sie etwas behaupten, ereignet es sich bestimmt. Sie können plötzlich unsichtbar werden oder an verschiedenen Orten gleichzeitig anwesend sein. Für die Menschen erkennbar sind sie an ihrer großmütigen Redeweise. Sie sind milde zu allen Geschöpfen, bösen wie guten. Sie nehmen die Entschuldigung von jedem an, der sich bei ihnen entschuldigt.“ All diese Merkmale sind in die Beschreibung des Hanin aufgenommen und treffen in wachsendem Maße auch für Zain zu.

© Elisabeth HartungZain gilt als Vertrauter des Hanin, nur in seinem Haus kehrt er ein. „Jeder wusste, dass Zain der bevorzugte Freund des Hanin war, und Hanin war ein Heiliger. Seine Freundschaft schenkte er nur dem, bei dem er etwas Geheimnisvolles, Erleuchtetes verspürte.“ Hanin taucht in einem Moment des Geschehens auf, als der Zain in seinem unbeherrschten Zorn den Weiberhelden und Verschwender Seif ad-Din fast umbringt und ihn niemand stoppen kann. „In diesem mageren Körper steckte etwas Fürchterliches, Unbändiges, dem niemand gewachsen war. Seif ad-Din, der kümmerliche Held, auf den sich der Zain gestürzt hatte, war unweigerlich verloren." (Es ging um ein Mädchen, das ein Auge auf den Zain geworfen hatte, „doch sie haben sie an einen gemeinen Kerl verheiratet“, wie Zain sagt). Über dem Geschrei ertönte plötzlich die Stimme Hanins ruhig und ernst: „Zain, Gesegneter, Gott bewahre dich!“ Da löste sich der Griff, Seif ad-Din fiel zurück. Auch die sechs Männer fielen alle zu Boden, überrascht von Hanins Stimme und dem unvermittelten Nachgeben des Zain, als wäre plötzlich eine Wand eingestürzt, gegen die sich alle gestemmt hatten.

Zain saß am Boden, die Hände zwischen den Knien, mit gesenktem Kopf. Hanin hatte ihm liebevoll die Hand auf die Schulter gelegt, er sprach zu ihm ernst, doch voller Zuneigung: „Zain, Gesegneter, warum hast du das getan?Mahajub kam und schrie den Zain an, doch Hanin brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Nach einer Weile sagte Mahajub: „Wärest du nicht gekommen, unser Herr, dann hätte er ihn getötet.“ Und Hanin sprach noch sanfter und liebevoller: „Alle Mädchen mögen dich, du Gesegneter! Morgen wirst du das beste Mädchen im Dorf heiraten.“ “Mahajub fühlte sein Herz klopfen. In ihm steckte eine geheime Scheu vor den Leuten des Glaubens, besonders vor Asketen wie Hanin. Er fürchtete sie, ging ihnen aus dem Weg und ließ sich nicht mit ihnen ein. Dennoch achtete er auf ihre Prophezeiungen. Bei aller äußerer Gleichgültigkeit fühlte er, dass sie geheimnisvolle Macht besaßen, und sagte sich: „Die Prophezeiungen solcher Asketen sind nicht ins Leere gesprochen.“ Und vielleicht deshalb rief er laut und mit verächtlicher Stimme: „Wer soll denn dieses Ungeheuer heiraten?“ Hanin warf Mahajub einen strengen Blick zu, der ihm bis ins Mark ging, und sprach: „Der Zain ist kein Ungeheuer. Er ist gesegnet. Und morgen wird er das beste Mädchen aus dem Dorf heiraten.

Diese Szene, die die Peripetie unserer Erzählung bildet, bringt anschaulich zum Ausdruck, welche Kräfte letztlich das soziale Leben des Dorfes bestimmen und welche Einflüsse in zugespitzten Situationen wirksam sind. Es handelt sich dabei nicht um die legendenhafte Darstellung einer unerhörten Begebenheit, sondern um Geschehnisse, wie sie sich im Kleinen auch heute, jedenfalls in den mir bekannten Dörfern, immer wieder einmal abspielen - allerdings verborgen und im Hintergrund, denn alle empfinden die bei Mahajub beschriebene Scheu und niemand will als „abergläubig“ gelten, schon gar nicht vor den Augen Fremder. Die Frauen allerdings reden frei über solche Vorkommnisse - und während des Ramadan kann man solche „Wundergeschichten“ in den Zeitungen finden. Und immer wieder einmal heißt es in Bezug auf irgendeinen angesehenen Dorfbewohner, dieser habe früher einen wilden Lebenswandel geführt, bis ..., und dann wird das Einfallen einer irrationalen Macht angedeutet, dem sich der Betroffene unterzogen hat. Auf der Westbank von Luxor gehören diese Leute oft einer bestimmten Sufi-Gruppe an und haben bei Problemen und Streit im Dorf gewichtigen Einfluss.

In der Erzählung verändert das Eingreifen des Hanin nicht nur Zain und Saif ad-Din, sondern alle Anwesenden, und es bringt schließlich dem ganzen Dorf Segen: „Viele Jahre danach dachten alle im Dorf noch immer an jenes Jahr und an das Geschehen zurück, das sich zwischen dem Zain, Hanin und Saif ad-Din vollzogen hatte. Sie, die dabei gewesen waren, erinnerten sich mit Entsetzen und Scheu daran, auch Mahajub, den zuvor nichts hatte erschüttern können. Bei jedem dieser acht Männer hatte sich das Leben auf die eine oder andere Weise verändert.“

„Das Wunder des Hanin" war der Anfang vieler ungewöhnlicher Ereignisse, die sich im Dorf zutrugen. Als ein Wunder nach dem anderen geschah, zweifelte niemand mehr daran, auch Mahajub nicht, dass dies alles auf jene Segensworte zurückzuführen war, die Hanin eines Abends gesprochen hatte: „Gott segne euch! Möge er euch seine Gnade schenken!“ Das war kurz vor dem Nachtgebet, eine Zeit, in der Gebete häufig erhört werden. Danach folgten wunderbare Ereignisse so dicht aufeinander, dass es einem den Verstand rauben konnte: Saif ad-Din unternimmt die Hadsch und wird zum Wohltäter, die Ernte im „Jahr des Hanin“, wie es nun heißt, ist ungewöhnlich reich, die Baumwoll- und Dattelpreise hoch wie nie, und die Regierung, „dieser störrische Esel“, beschloss ohne ersichtlichen Grund, in ihrem Dorf tätig zu werden, obwohl sie weder Macht noch Einfluss besaßen und niemanden hatten, der bei den Oberen für sie sprechen konnte, und man baut ihnen endlich eine Schule.

© Elisabeth HartungDoch das größte Wunder ist die Kunde von der Hochzeit des Zains mit Naima, darin sind sich alle einig, die immer wieder die Wunder dieses Jahres aufzählen. Naima bleibt wie die anderen Frauen im Hintergrund - aber die Erzählkunst Salihs macht deutlich, wie sie von dort aus die Fäden ziehen und das Leben der Männer weitgehend bestimmen. Naima hat die besondere Qualität des Zain, den „göttlichen Funken“ in ihm erkannt und macht aus dem zum Lachen reizenden, auf allen Hochzeiten tanzenden Liebesboten einen Liebenden, zu dem Mahajub bei der Hochzeit sagt: „Nun bist du endlich ein richtiger Mensch geworden. Ich schwöre dir, erst jetzt kann man es wirklich sagen!

Naima wird an den wenigen Stellen, an denen Salih sie in den Vordergrund stellt, als ein Mädchen beschrieben, das von Anfang an „anders“ war: Früh bestand sie darauf, in die Koranschule zu gehen, und später lehnte sie alle Heiratsanträge ab. Sie ist unabhängig, entschlossen, ja eigensinnig, einem inneren Antrieb folgend, der keine Rücksichten auf soziale Gepflogenheiten nimmt. Ihre Gestalt erinnert an die vielen Sufi-Geschichten über die Stärke der Liebe, die alle Grenzen überschreitet - ob sie nun religiös oder sozial seien - und den ganzen geregelten Ablaufs eines normalen Lebens verändert.

Viele Motive der Liebesmystik klingen in [Anzeige] Die Hochzeit des Zain“ an. Das Weibliche ist allgegenwärtig, aber das öffentliche Leben im Dorf spielt sich in einer Männergesellschaft ab, und zwar meist innerhalb der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Nur von Zain heißt es: „Er stand allein ganz für sich.“ Es ist das Kollektiv, das dominiert, der einzelne ordnet seine Individualität diesem unter. (Das ist auch heute auf dem Land in Ägypten noch so, und wer sich nicht anpassen kann oder will, muss wegziehen in die nächste Stadt, mindestens von Luxor West über den Nil auf die Stadtseite, oder besser noch in die aus dem Boden gestampften Orte am Roten Meer.)

Die verschiedenen Gruppierungen der Männer im Dorf, welche für die Dynamik der Erzählung wichtig sind, beschreiben realistisch Hierarchien und Beziehungsgeflechte, wie sie auch heute das Dorfleben bestimmen, sofern dieses einigermaßen intakt geblieben ist.

Der Imam vertritt den orthodoxen Islam und bildet den Gegenpol zum Volksislam und dessen mystischer Seite. Am Imam scheiden sich die Geister. Er ist der einzige, den Zain hasst. Es gibt drei charakteristische Lager:

© Elisabeth HartungZum ersten Lager, dem Lager der Vernünftigen, gehören die älteren, gesetzten Männer. Dem Imam gegenüber sind sie zurückhaltend, aber korrekt: sie beten, fasten, besuchen die Moschee, geben Almosen. Ihr Anführer ist der Vater von Naima.

Das zweite Lager bilden die Jungen, die unter 20Jährigen, die offen feindselig gegenüber dem Imam sind. Es ist die Gruppe der Abenteurer, der Eigensinnigen, der schwarzen Schafe, der Faulen oder Verschwender wie Seif ad-Din. Aber auch Gebildete gehören zu ihnen, und ihr Anführer ist ein über 70jähriger Mann, der Gedichte schreibt.

Die Clique, das dritte Lager, sind die Leute um Mahajub. Es rekrutiert sich aus den 35- bis 45-Jährigen (samt einem 20-Jährigen, Altersgrenzen sind nie absolut). Diese kümmern sich nicht um den Imam, aber sie verhalten sich korrekt, bekämpfen ihn nicht. Sie werden als „die Leute der Mitte“ beschrieben, „die Mächtigen im Dorf“, die den größten Einfluss haben. Sie übernehmen jederzeit Verantwortung, ohne ihre aktive Teilnahme läuft nichts, keine Hochzeit, kein Begräbnis. Bezüglich des Zain heißt es, „sie wachen aus der Ferne über ihn“. An sie wendet sich, wer ein Anliegen hat oder im Streit mit jemandem liegt, und sie reden mit den Regierungsvertretern, die gelegentlich ins Dorf kommen und Probleme machen. Wenn sie jemanden unterstützen, dann nicht, um das Gute über das Böse siegen zu lassen wie beim Imam. Sie mischen sich nicht in die Ausschweifungen des Lagers der Jungen ein: „Für sie war das ein notwendiges Übel. Es störte sie wenig, wenn sich einige Leute betranken, solange der natürliche Lauf der Dinge nicht gestört wurde. Sie mischten sich nur dann ein, wenn ein Bursche in betrunkenem Zustand eine Frau oder einen Mann aus dem Dorf belästigte. Dabei griffen sie zu den eigenen Mitteln, die von denen des Imam abwichen.“ Diese „Leute der Mitte“ werden zum Schluss der Erzählung auch die Hochzeit des Zain ausrichten und dafür sorgen, dass die gegensätzlichen religiösen und sozialen Strömungen und Gruppen dabei ihren Platz finden und das Fest gemeinsam feiern.

Salih gestaltet hier seinen Traum vom friedlichen Zusammenwirken gegensätzlicher Kräfte, eine Utopie angesichts der Umstände in seinem Land und dennoch hergeleitet aus seiner Erfahrung der Strukturen seines Dorfes im Nordsudan, in dem er aufgewachsen ist. Die „Leute der Mitte“ sind dabei die eigentlichen Hoffnungsträger. Sie haben in Mahajub eine Führerfigur, „den reifsten und weitsichtigsten unter ihnen, wie ein Fels ... seine Festigkeit zeigte sich erst in wirklichen Krisen. Dann war er der Kapitän und die anderen taten, was er sagte“.

Aber ihr eigentlicher Zusammenhalt und damit ihre Kraft kommt aus ihrer gemeinsamen Bezogenheit auf ein Unendliches, das in der Sprache der islamischen Mystik „der geheimnisvolle Punkt in der Mitte“ genannt wird. Für die Clique findet diese transzendente Erfahrung außerhalb der Moschee statt, während ihres Zusammensitzens zum gemeinsamen Abendessen: „Wenn sie den Imam rufen hörten: Zum Gebet! Zum Gebet!, da stand ein jeder von ihnen auf und ging in sein Haus hinüber, um das Abendessen zu holen. Und wie die anderen in der Moschee zusammen beteten, so würden sie jetzt gemeinsam im Kreis um die Platten mit den Speisen sitzen und essen. Wenn dann die leeren Schüsseln abgeräumt wurden und der Tee an die Reihe kam, dann hatten die anderen gerade das Nachtgebet beendet. ... Ob sie in diesem Augenblick das Gefühl hatten, jenem verschwiegenen, geheimen Punkt in der Mitte nähergekommen zu sein? Oder spürten sie, das er unerreichbar blieb, auch wenn das Leben darüber verging?

Der Zugang zum Religiösen heilt in Salihs Erzählung, ähnlich wie in anderen zeitgenössischen Dorfromanen, den Bruch zwischen den Generationen, den Riss zwischen Tradition und Moderne, die Kluft zwischen Stadt und Dorf, zwischen Studierten und einfachen Bauern. Und so wird das Schlussbild des Hochzeitsfestes von Zain, an dem alle teilhaben und das in seiner Rauschhaftigkeit sehr an ein Maulid erinnert, zur Darstellung einer möglichen Harmonie, einer Einheit in der Vielfalt, von der die Dorfgemeinschaft getragen wird.

An diesem Tag kamen die Gegensätze zusammen. Im ersten Haus rezitierten die Scheichs den Koran, im zweiten tanzten und sangen die Mädchen, in einem anderen trommelten und sangen die Prophetensänger, und im nächsten betranken sich die jungen Männer. es war, als vereinigten sich verschiedene Feiern zu einem einzigen Fest. Die Mutter des Zain lief überall umher und rief dabei: Freuet euch! Freuet euch! ... Die Jubeltriller der Frauen, die den Sängern zuhörten, mischten sich mit denen, die vom Tanz kamen. Gelegentlich wechselten auch Gruppen von einem zum anderen Kreis hinüber. Manche hatten eben noch voller Begeisterung mit den Füssen gestampft und nun traten ihnen hier die Tränen in die Augen. Andere begaben sich vom Lobgesang zum Tanz, sie vertauschten die himmlische Sehnsucht mit irdischem Getöse.

Mittlerweile ist der Zain verschwunden - drückt er sich vor seiner Hochzeit? Aber Mahajub begreift plötzlich: Zain ist zum Friedhof gelaufen. Und so kommt noch einmal Hanin, der heimliche Beweger der ganzen Geschichte, ins Spiel. Mahajub findet Zain, wie er vor dem Grab des Hanin hockt und schluchzt: „Lebte Vater Hanin noch, dann wäre er zur Hochzeit gekommen“. Mahajub kann ihn schließlich zur Rückkehr bewegen: „Ein Mann wird in seiner Hochzeitsnacht nicht weinen. Komm!“

Als sie zu dem großen Hof gelangten, in dem sich die meisten Leute aufhielten, empfing sie der Lärm, und im ersten Augenblick waren sie vom grellen Licht der Lampen wie geblendet. Der Zain stürzte los, machte einen gewaltigen Sprung, und da stand er auch schon in der Mitte des Kreises. Auf seinem Gesicht, das noch von Tränen feucht war, glitzerte das Lampenlicht. Er reckte den Arm hoch und rief so laut er konnte: „Freut euch! Freut euch!“ Der Platz schäumte wie ein siedender Kessel, der Zain hatte alle aufs Neue in Schwung gebracht. Immer wieder öffnete und schloss sich der Kreis, brandete der Jubel auf und ab, wirbelten die Trommeln. Die lange, dürre Gestalt des Zain stand in der Mitte wie der Mast eines Schiffes.

Fotos: Elisabeth Hartung

 

 

Quellen / Literatur zum Thema:

 

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